Am Lessingplatz 12 war der letzte Wohnsitz des jüdischen Strumpffabrikanten Heinrich Weidberg, seiner Frau Ida und der Tochter Alice. Am 30. Mai 2017 um 12 Uhr soll an sie erinnert werden.

Der Historiker Jürgen Nitsche hatte ihren Lebensweg recherchiert: Sie waren nach Wien geflohen und nach dem gewaltsamen Anschluss Österreichs an Deutschland in den Osten deportiert worden. Am 29. November 1941 endete ihr Leben in dem litauischen Ghetto Kowno.

Herrmann Weidberg (*1891) stammte aus Galizien und im I. Weltkrieg im österreichischen gekämpft. 1922 hatte er das Haus Lessingplatz 12 gekauft. Jedoch wohnte und produzierte er an verschiedenen Orten in Chemnitz und auf dem Sonnenberg in der Dresdner Straße 11, bis er 1932 seinen Wohn- und Arbeitsort in sein Haus verlegte. Im Erdgeschoss wohnte die Familie mit den Töchtern Edith (*1920) und Alice (*1925), im 1. Stock war die Firma. Die Töchter besuchten die Lessingschule. Ab April 1937 konnte Edith die Jüdische Wirtschaftliche Frauenschule in Wolfratshausen besuchen, wo sie sich auf ein Leben im Ausland vorbereiten wollte. Im März 1938 verließ sie die Schule und kehrte wieder zu ihren Eltern nach Chemnitz zurück. Alice musste ab Ostern 1938 die Jüdischen Sonderklassen in der Brühlschule für Mädchen an der Mühlenstraße besuchen.

Weidberg war leidenschaftliche Schachspieler und der Mitglied des Jüdischen Schachklubs. Im März 1939 oder war er aus Furcht vor einer Verhaftung nach Wien geflüchtet. Seine Ehefrau, die noch einige Zeit in Chemnitz blieb, hatte die Absicht, mit einem Flugzeug über Holland nach England zu gelangen. Dies gelang aber nur der älteren Tochter Edith, die fortan in London lebte. Ida Weidberg war in dieser Zeit damit beschäftigt, den Verkauf des Hausgrundstücks an eine Treuhand-Gesellschaft abzuwickeln. Sie verkaufte es letztlich „weit unter dem Marktwert“. Mit Alice zusammen war sie in dieser Zeit zweimal an der holländischen Grenze abgewiesen worden. Letztlich siedelten sie auch nach Wien über, wo sie bei Verwandten einen Unterschlupf fanden.

Edith Weidberg erkundigte sich nach Kriegsende bei einem ehemaligen Wohnungsnachbarn nach dem Verbleib ihrer Familie.


Jetzt soll mit einem „Stolperstein“ an die Familie erinnert werden. Diese in Beton eingelassenen Messingplatten finden sich schon an einigen Stellen auf dem Sonnenberg. Seit 2007 ehrt die Stadt auf diese Weise Menschen, die während des nationalsozialistischen Regimes verfolgt, deportiert, ermordet oder in den Tod getrieben wurden. Die Anfertigung und Verlegung kostet 120 Euro. 2016 wurde dies Vorhaben veröffentlicht, mit dem Hinweis, dass für die Stolpersteine Paten gesucht werden. Diese haben sich gefunden.

Dabei stellte sich auch heraus, dass in dem Haus ein Zeitzeuge lebt: Ein früherer Hausnachbar, Günter Scheithauer, der seit seiner Geburt vor 94 Jahren in der gleichen Wohnung lebt, kann sich noch gut an die Familie erinnern. Weidberg hatte ein kleines Büro mit „Schreibmamsell“, dafür hatte er rechts vom Eingang im Erdgeschoss eine Tür einsetzen lassen. Die Familie wohnte im 1. Stock. Weidberg war Hausbesitzer, er hatte das Sagen, aber war verträglich, erinnert sich der alte Mieter. Dass sie Juden waren, sei kein Thema gewesen. „Ich war ein paarmal bei den Meedels drinne, da hat keiner geguckt“, so Scheithauer.

Rückblick auf bisherige Stolperstein-Verlegungen

Liste aller Stolpersteine in Chemnitz mit Namen und Orten

Eckart Roßberg hat an Hand der alten Adressbücher die Spuren von Heinrich Weidberg gesucht.