Noch bis Ende Mai 2016 läuft das KuKuMai, das längste Kunst- und Kultur-Event auf dem Sonnenberg. Wir haben es zur Vernissage besucht.

Der Sonnenberg als Stadtteil der Künstler lebt davon, dass immer neue schöpferisch tätige Menschen hier aktiv sind. Mit viel Energie veranstalteten einige den ganzen Mai über das KuKuMai, das längste Kunst- und Kultur-Event im Stadtteil. Neben der Kunstausstellung über drei Etagen konnten jeweils von 14 bis 22 Uhr Workshops, Vorträge, Lesungen und Musik erlebt werden.

Svenja Zimmermann hatte die Idee. Sie lebt schon immer auf dem Sonnenberg und malt seit der Kindheit. Wo jetzt der neue blitzblanke Netto-Markt eröffnet hat, war früher die Leistner-Fabrik. In den letzten Jahren des Leerstands hatten Svenja und „Ritter Noctulus“ dort eine „Kunstfabrik“ gegründet (Sonnenberger 4/2013). Dann zog Svenja in die Körnerstraße 21, ein unsaniertes Haus aus dem Besitz von Lars Fassmann. Der rettete auch das Nachbarhaus vor dem völligen Verfall. In seinem Bauteam arbeitete Svenja mit. Beim Rundgang zur Vernissage zeigt sie die schweren Balken, mit denen die eingestürzten Decken wieder gerichtet wurden. Hier in der Nummer 19 lebte die Kunstfabrik „Südlicher Sonnenberg“ wieder auf.

SiM, bürgerlich Maya Müller, zeichnet, fotografiert, gestaltet. Zusammen mit Gästeführer und Geschichtsstudent René Bzdok, der hier die „neue kreative Gründerzeit“ sieht, starteten sie die Planung. „Ich habe alles gegeben für das KuKuMai“, sagte SiM bei der Vernissage und dankte den vielen Unterstützern, zum Beispiel Bürohändler Andreas Richter und Stadtteilrat Hellfried Malech. Beim Kulturbüro der Stadt Chemnitz und beim Sonnenberger Verfügungsfonds konnte Geld beantragt werden, aber ohne monatelanges ehrenamtliches Schuften wäre die Idee wieder zerbröselt wie der Putz an der Decke.

Auch syrische Flüchtlinge halfen mit. Die Bombardements auf Aleppo Anfang Mai und die Sorge um die Angehörigen versetzten sie dann so in Depression und Panik, dass sie nicht zur Vernissage kommen konnten. Die Gäste legten auf Bitte von SiM eine Schweigeminute ein.

 

Hier einige Fotos von Hellfried Malech.

Nicht alle Künstler, die SiM im Visier hatte, haben sich beteiligt. Das Spektrum auf dem Sonnenberg ist groß, wie auch diese Reihe der Kunstgespräche zeigt. Das KuKuMai bildet ein Gesamtkunstwerk: das unsanierte Gründerzeithaus mit seinem speziellen Charme, die ausgestellten Werke, eingeschlossen die vielen Ideen im Kampf mit den Gesetzen zu Sicherheit und Ordnung. Weil zum Beispiel der geforderte Notausgang nicht zu finanzieren war, wird nun mit Kügelchen und einer „Inbox“ und einer „Outbox“ genau gezählt, dass nicht mehr als zehn Leute jeweils durch die Räume in den Obergeschossen flanieren. Im extra Raum „Emergency Exit Room“, aus dem die Feuerwehr sie bei Bedarf evakuieren würde, darf nichts Brennbares sein. Da wurden die Löcher an den Wänden mit Kreide verziert. Und weil Musikbeschallung zur Unterhaltung GEMA-Gebühren kosten würde, hängen die CD’s statt dessen an der Wand – Florian Silbereisen und ähnliches – mit einer augenzwinkernden Entschuldigung, dass man beim Warten auf die Rettung gern Unterhaltungsmusik geboten hätte.

Die Räume des Wohnhauses erinnern bewusst an ihre Nutzung. Einer der Toilettenräume auf halben Treppenabsatz ist mit einem Campingklo reaktiviert, wofür Svenja das Händewaschwasser aus ihrem Bad herübertragt, denn Strom und Wasser gibt es in hier noch nicht wieder. Eins beherbergt den Stall von Lemmingen. Die gehören Peter Frank Dippold, Mitbewohner der Nummer 21, der das Zoologenerbe seiner Familie in einem Privatzoo im Hof und Haus fortführt. Das bretonische Zwergschaf mit seinem Lämmchen zählt auch zu den Attraktionen für die KuKuMai-Gäste. Und eine der Kammerndient Hanna Remestvenska als Kabinett für ihre Wollmäuse und Filzobjekte. Von Beruf Gemeinwesenkoordinatorin und Leiterin des Bereichs Migration bei der Caritas, ist sie mit ihrem Mann Dmytro Remestvensky im Stadtteil vielfach durch Kunst und Engagement bekannt. Dmytro hat ein Blumenbild eingebracht. Erstmals stellt auch Sohn Jury, inzwischen im Promotionsstudium in Wien, zwei Bilder aus.

Im Raum „Kunst zuhause“ ist der Satz „Die heile Welt ist eine Illusion“ an die Wand geschrieben. „Wir haben unser Unglück hinter uns und verarbeiten das“, bemerkt SiM dazu. Da hängt das Bild „Die Völkerwanderung“, was Ingrid Burghoff, dynamische Vorsitzende des „Ateliers 8-80“, den Flüchtlingen gewidmet hat. Mit dem Riemann-Turm und dem Blick durch die Zietenstraße auf die Lutherkirche hat sie unter anderem zwei städtebauliche Motive eingebracht. Jörg Perthel aus ihrem Verein hat sie als Mitaussteller gewonnen, etwa mit dem Titel „Nutz die Zeit“ – Tropfen, die aus der Taschenuhr rinnen.

Bernhard Schloß und seine Malerkollegin Uta Reinhardt waren über den Künstlerweihnachtsmarkt, den SiM im letzten Dezember im Bürgerzentrum organisiert hatte, dazugestoßen. Sie beschreibt ihre farbigen Werke als „Emotionsmalerei“: „Wie gehen Menschen mit Ärger um, wie geschieht Versöhnung?“ erklärt sie. Bernhard Schloß, der Landschaften und Portraits in ÖL ausstellt, nutzt sonst ein Atelier in der Schönherr-Fabrik und denkt darüber nach, sich hier anzusiedeln.

Michael Sonntag aus Hohenstein-Ernstthal, dem vorherigen Wohnort von SiM, veröffentlicht als Autor Kurzgeschichten, fotografiert aber auch und hat schon eine Ausstellungsreihe „Kunst in der Ruine“ organisiert. Er zeigt Glasgravuren, Acrylbilder sowie Aktfotos in einer „nicht jugendfreien“ Ecke. Auch seine Pflegetochter Sarah Neudeck steuerte ein BIld bei.

Zu den interessierten Gäste der Vernissage gehörte neben Stadträtin Katrin Pritscha der bekannte Chemnitzer Künstler Osmar Osten, der immer wieder die Entwicklung auf dem Sonnenberg verfolgt.

Schon die nächste Ausstellung ist geplant, erzählt Svenja: das Lebenswerk seiner Mutter – Zeichnungen mit Blei- und Buntstiften.

Das ist das Programm. – Änderungen vorbehalten.

Zur Kunstfabrik gibt es auch bewegte Bilder von Tolga Cerci.

Impressionen von Eckart Roßberg: