„Kennst du schon … das Café Maulwurf, die Sparbüchse, …. ?“ Kameramann und Regisseur Tolga Cerci besucht die Orte mit der Kamera und zeigt sie in Videos von ein paar Minuten Länge.

Tolga Cerci WebDafür hat er einen Youtube-Kanal „Sonnenberg zu Fuß“ gegründet. Er macht das ehrenamtlich und unentgeltlich als Stadtteilrat des Sonnenbergs. Es war seine Idee, die Vielfalt des Sonnenbergs, die ihn selbst fasziniert, anderen zu zeigen. „Ich wollte schon immer einen Youtube-Kanal haben. Jetzt habe ich eine Mission, es macht Megaspaß“, sagt er. Mit seinen „Roomtours“ und Interviews verbindet er Freiheit, Austoben, Anecken unabhängig von Qualitätsansprüchen und Produktionsaufwand, im Unterschied zu seiner beruflichen Arbeit für Werbe- und andere Filme.

„Engagement“ und „Plan B“ sind Stichworte auf seinem Weg. Aufgewachsen ist er im beschaulichen Detmold im Fürstentum Lippe, in Ostwestfalen in der Nähe von Bielefeld. Der türkischstämmige Vater war Kinderarzt. „Tschertschi“ spricht man seinen Namen aus, erklärt er auf Anfrage. Sehr viele türkische Einflüsse habe er aber nicht erlebt, außer bei Besuchen bei der Verwandtschaft in Istanbul etwa alle zwei Jahre. Die Kultur dort sei eher kollektivistisch, die Familie spielt eine große Rolle, aber bei ihm sei eher die hiesige individualistische Kultur prägend. Und das Engagement: Der Vater hatte einen Integrationsverein „Gemeinsam leben in Lippe“ gegründet, da hatte er bei der Homepage geholfen.

Nach Abitur, Wehrdienst, Praktika in Webdesign, Filmbranche, einem Fast-Ausbildungsplatz an Orten quer durch Deutschland und langem Jobben in England studierte er in der nahen Bischofsstadt Paderborn Informatik mit Nebenfach Maschinenbau. Erfolgreich war er da mit seinem Engagement in der Hochschulpolitik. Er kandidierte mit einer eigenen neu gegründeten Liste „Und Aktion!“ für das Studierendenparlament, gewann zwei Sitze und wurde Referent für Hochschulpolitik und Öffentlichkeitsarbeit im AStA, dem Allgemeinen Studierenden-Ausschuss. Immer filmte er viel, auch mit einer Hochschulgruppe Kurzfilme. Für den durch seine Leipzig-Serie bekannten Dokumentarfilmer Andreas Voigt arbeitete als studentische Hilfskraft. Und hörte schließlich auf seinen Rat, diesen Plan B, das medienferne Studienfach, aufzugeben in Berlin Film und Fernsehen zu studieren. Seinen Bachelor schrieb er über den Erfolg von Youtube-Kanälen. Er arbeitet für das Online Team von The Voice of Germany, für den Vater der Loveparade Dr. Motte drehte er ein Musikvideo.

Youtube„Man lernte immer irgendwelche Leute kennen, aber finanziell war es knapp“, resümierte er und fasste einen weiteren Plan B, außerhalb Berlins eine Festanstellung zu suchen. So landete er im März 2013 in Chemnitz, wo gerade von seinem neuen Arbeitgeber der Imagefilm der Stadt gedreht wurde. „Stationen wie die Villa Esche, das Stadtbad und andere lernte ich so kennen, mitten im Dreh“, freute er sich. Und die Stadt, die er von einem Besuch als Kind mit den Eltern als hässlichste Deutschlands in Erinnerung hatte, gefiel ihm so, dass er eine Bewerbung in Münchens Filmstadt Unterföhring gar nicht weiter verfolgte.

16 Monate arbeitete er als Editor und Filmproducer. Dann kündigte er, um seinen schwer erkrankten Vater öfter besuchen zu können. Im Oktober 2014 gründete er die eigene Firma webontherocks und sucht sich seine Nische. Noch erhält er die meisten Aufträge aus Berlin oder den kleineren Städten in der Region. „Aber Chemnitz kommt nach und nach in der Medienbranche an“, meint er. Im Verband der Kultur- und Kreativwirtschaft ist er Mitglied. Nur eine Filmkameraverleihfirma vermisse er in der Stadt.

„Chemnitz ist wie ein in Vergessenheit geratenes Juwel“, schwärmt er. „Ich mag die Bodenständigkeit der Menschen. Die Natur und Luft sind gut, es gibt Kneipen, eine Subkultur, dass ich mich immer wundere, dass Chemnitz in Berlin oder NRW kein Begriff ist.“ Die Nähe zum Subway to Peter und zum Bahnhof ließen ihn vom Kaßberg in die Fürstenstraße umsiedeln. „Auch ein Vorteil – man kann auf die Karte gucken und sich aussuchen, wo man wohnen möchte. In Berlin klappt es nur über Bekannte, dass man überhaupt etwas in der Nähe einer U-Bahn-Station findet.“

In einer Umbruchphase, nach dem Tod des Vaters kurz vor Weihnachten, las er, dass neue Stadtteilräte gesucht würden. Kurz entschlossen stellte er sich zur Wahl. Sein Motto sei „Global denken, lokal handeln“ erklärt er. Und ergänzt: „Durch mein voriges gesellschaftspolitisches Engagement habe ich einen anderen Blick und sehe, dass hier sehr viel getan wird. Man hätte nicht gedacht, dass es Pegida hier schwerer hat als in Dresden, aber hier wurde vorgearbeitet, zum Beispiel durch die Interkulturellen Wochen“, urteilt er. „Lokales Engagement ist ehrlich. Wenn man etwas tut, dass sich Leute wohl fühlen, dann sind sie weniger anfällig für Hysterie und unüberlegte Handlungen. Lokales Engagement stärkt die Basis und öffnet Türen.“