Meine Hände und ich – Leben mit Assistenz
„Dass ich gerade in meinem Zimmer an diesem Text schreiben kann, ist ohne Hilfe nicht möglich“, schreibt Nele März.
Aber ich möchte mich jetzt erst mal vorstellen. Ich bin von meiner Geburt an Spastikerin. Das heißt, meine Arme und Beine sind nicht kontrollierbar. Auf Grund des Sauerstoffmangels bei meiner Geburt ist eine Hirnschädigung aufgetreten, die die Funktion der Bewegung und Sprache eingeschränkt hat.
Dieser Text soll Euch zeigen, wie mein Leben mit dieser Einschränkung und der Hilfe meiner Assistenten abläuft. Mein Morgen beginnt damit, dass ich mit einem Hebegerät aus der Falle geholt werde und dann auf Toilette gebracht werde, danach die Morgentoilette, dann geht es meist frisch und munter zum Frühstück, wo ich von einem Alltagsassistenten unterstützt werde. Danach geht es mit Vollgas zur Therapie oder zum Einkaufen.
Kinderfragen in der Gemüseabteilung
Regelmäßig spüre ich die Scheu der Menschen auf der Straße vor Menschen mit einer Behinderung. Ich stehe mit meinem Rolli z. B. in der Gemüseabteilung. Von hinten kommt eine Frau mit Kind. Das Kind sieht mich an und fragt: “Bist du krank?“ Die Mutter reißt das Kind weg und sagt: “Lass die, die ist krank“. Ich komme nicht dazu, dem Kind seine Frage zu beantworten und das Kind schaut mich immer noch fragend an. Das einzige was ich meistens erwidern kann, ist ein freundliches Nicken und Lächeln. Solche Situationen sind für mich immer sehr belastend, da ich diese Fragen gerne auch selber beantworten möchte.
Auch andere Situationen sind für mich nicht so einfach zu lösen. Der Assistent und ich sind ca. 9 Stunden zusammen. In dem Zeitraum bleibt es natürlich nicht aus, dass ich mir manchmal die persönlichen Probleme der Mitarbeiter anhöre. Wenn sie mir von verschiedenen Problemen, die sie z. B. in der Familie haben berichten, sei es, dass das Kind krank ist, Sorgen mit dem Dienstplan, dann möchte ich meist für den Menschen da sein und ihm aus der Situation helfen, und vergesse dadurch, das ich für mein eigenes Leben verantwortlich bin.
Es ist schwer, da einen Mittelweg zu finden, die Probleme der Mitarbeiter und Mitbewohner nicht zu sehr an mich ran zulassen, um mein Leben zu gestalten und meine Perspektiven zu entwickeln.
Ich genieße es, in meinem Zimmer zu sitzen, mit Farben und Pinsel meinen Alltagsstress loszuwerden und mich von der alltäglichen Hektik abzulenken. In meinen Bildern sehe ich, dass mein Körper mich gezielte Sachen machen lässt, die ich sonst nicht so leicht und gezielt umsetzen kann. Das Gefühl, etwas alleine erschaffen zu haben, was anderen Menschen Freude bereitet, eröffnet mir neue Fähigkeiten.
Ich bin der Meinung, dass jeder Mensch, der mit einer Behinderung lebt, sich immer bewusst machen sollte, dass er nur dieses eine Leben hat und sich seinen Lebens-traum mit Hilfe eines Schattens, der ihn immer in seinem Leben begleitet und unterstützt, erfüllen sollte. Dennoch ist es wichtig, sich diesen Schatten genau anzugucken. Man sollte sich nie als eine Last für den anderen vorkommen müssen. Wenn man dies tut, ist das Aufbauen einer Vertrauensbasis im alltäglichen Leben nicht möglich.
Für mich ist es wichtig, dass ich als Mensch im Rollstuhl den anderen das Gefühl geben kann, dass ich auch ihm auf meine Art und Weise, sei es mit einem Gespräch oder einer aufbauenden Geste, eine Unterstützung sein kann.
Nele März
Vielen Dank für Deine wertvolle Mitarbeit!
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