Der Kunstbesuch für die Stadtteilzetung galt diesmal einem Ehepaar: der Geigerin Alke und dem Puppenspieler Michael Schmidt.

Wer?

Vor der Berliner Synagoge bei den inoffiziellen Gedenken zu den Pogromen des 9. November standen sie wohl schon in der Spätzeit der DDR nebeneinander, aber erst in Chemnitz lernten sie sich kennen: Michael Schmidt (*1964), rebellischer Sohn eines hochrangigen Beamten, und Alke Witt (*1970) aus einer kirchennahen Familie an der Großen Hamburger Straße, für viele Juden der Nazizeit der letzte Wohnort vor der Deportation.

Als Kind übte sie Geige, doch erst durch die Klezmermusik, die sie zusammen mit einer Hilfsorganisation für jüdische Gruppen in der Ukraine spielte, fand sie zur Musik als Beruf. Sie studierte an der Hanns-Eisler-Hochschule in Berlin und bekam nach diversen kurzzeitigen Engagements im Jahr 2000 eine Stelle in der Chemnitzer Philharmonie.

Aus dem langen Lebenslauf ihres Mannes lassen sich nur Stichpunkte erzählen: Schulverweigerer, Solorollen im Kinder-Kabarett, Lehre und Arbeit als Autoschlosser und Schweißer, 1986 Wechsel „direkt aus der Schicht“ als Bühnentechniker ans Deutsche Theater Berlin. 1988 der Bruch: Zeckeninfektion im Rumänienurlaub, Koma, ein Jahr im Krankenhausbett. „Sie wollten mich berenten, aber ich fragte im Tierpark nach Arbeit im Garten. Und durfte dann noch Gärtner für subtropische Pflanzen und Orchideen lernen“, erzählt Schmidt.

Als die Mauer fiel, war er zum Gewerkschaftschef geworden. Seilschaften und Intrigen stießen ihn ab. Bei einem Puppentheater, nebenberuflich, bewegte er sich wieder auf die Bühne zu. „Du bist zu groß zum Spielen“, hieß es, also übte er das breitbeinige Stehen. Als bei „Frau Holle“ der Darsteller des Hahns ausfiel, übte er für seine erfolgreiche Bewerbung das Krähen. „Ich weckte meine Krokodile im Tierpark mit Kikeriki“, und macht es vor, dass fast der Putz von der Decke rieselt.

Ausschließlich mit der Kunst wollte er nie sein Brot verdienen, immer übernahm er auch technische Aufgaben. Weiter ging es: Meisterabschluss für Veranstaltungstechnik, zwei Jahre Begleitung der Abschiedstournee einer berühmten finnischen Schauspielerin durch 30 Städte Europas, diverse feste Jobs, länger zum Beispiel in Bonn. Er erfuhr, „dass man sich durchsetzen kann als Ossi, Renommee hat als Deutscher aus Berlin“. Als alles ausgereizt war, kam 2009 der Anruf vom Figurentheater Chemnitz. „Hier ist eine Stadt, in der ich mir vorstellen kann, alt zu werden“, empfand er. 2013 wieder ein Bruch: Sein Vertrag wurde nicht verlängert. Dann ein Herzinfarkt. Jetzt hat er die Rente beantragt. Aber als freier Puppenspieler und im Urania-Theater hat er auch Aufgaben gefunden.

Beziehung zum Sonnenberg?

Als Michael Schmidt gemerkt hatte, wie viele tolle Wohnungen es in Chemnitz gibt, suchte er den preisgünstigen Bezirk, der Sonnenberg. „Da war ich völlig unbelastet. Vor dem Netto stehen Alkis – die stehen in Berlin vor jeder Kaufhalle.“

So zog er in die Jakobstraße und Alke später nach, in eine freie Wohnung, denn sie braucht Raum zum Üben. Sie schätzen das Vielvölkergemisch, den kasachischen Vermieter, Rumänen im Haus. Alke: „Wir fühlen uns in unsere Jugendzeit versetzt, es ist etwas wie im Ostberlin der 90ger.“ Vereinsmitgliedschaft ist für sie Pflicht. Michael führte einen syrischen Freund und Fußballfan beim CFC ein.

Wie sieht es im Atelier aus?

Als das Delphin 2016 die Aquaponic-Anlage präsentierte, kam Michael Schmidt aus gärtnerischem Interesse. Aber das Gespräch mit Leiterin Angelika Scheuerl landete beim Puppenspielen. Ein großer Kellerraum  wurde entrümpelt und als Werkstatt eingerichtet. Für alle, aber auf diversen Schränken steht dick „Micha privat“. Große Teile wie die Puppenbühne und Kulissen baut er hier. An der Wand hängen mit Wasserfarben ausgemalte Zeichnungen von Handpuppen. Teile seiner großen Sammlung haben ihm Dresdner Kunstsammlungen abgenommen, als er sich räumlich verkleinern musste.

Welche Kunst gibt es?

Das Ensemble Urania vermittelt mit Puppenspiel Wissen. Anfang, Ende und Höhepunkte der Geschichte sind klar, erläutet Michael Schmidt, dann wird mit den Kindern improvisiert. Zum Beispiel über die Dampflok Harti, die ein kleiner Junge entdeckt, zu der sich ein ICE mit kaputter Klimaanlage gesellt, und die im Eisenbahnmuseum endet. Oder über die ägyptische Prinzessin und die Geometrie. Oder das Stück über Mobbing, auch im Internet.

Er erkenne gleich die Kinder, die Probleme zu Hause haben, weil er selbst so war. „Je mehr perfekte Animationsfilme wir haben, desto mehr braucht man das Spiel“, weiß Michael Schmidt. Auch für Alkes Musik trifft es zu: „Live erzeugte Lunst kann man nicht wiederholen, die Emotionen sind viel intensiver“, schwärmt Schmidt. Und Alke, die vor allem Opern spielt und die monatlichen Konzerte in der Stadthalle, erzählt auch begeistert von Kinderkonzerten, wie ein Kind neulich rief: „Macht die Fenster auf, dass alle die schöne Musik hören können!“

Seit einer Woche spielt sie auch das erste Mal mit ihrem – unmusikalischen – Mann zusammen. Er mit einer kahlköpfigen Puppe aus den Tagen des Figurentheaters vor einem kleinen Pappklavier mit eingebautem elektronischer Spielzeugtastatur. Sie spielt einfach die selbst, die Geigerin. „Was machen wir?“ quäkt die Puppe. Sie zeigt ihm die Taste, die er anschlagen soll. Der Ton erklingt, wiederholt sich xmal, und sie geigt dazu eine abwechslungsreiche Melodie. „Das war schön“ quäkt die Puppe. Pause. Und weiter zu ihr: „Du hast aber auch schön gespielt.“

Das Ensemble Urania spielt im Rahmen des Kiezweihnachtsmarkts am 13.12. 2017 auf dem Lessingplatz.