Schon vor sechs Jahren war das Kunstgespräch bei dem Ehepaar Remestvenska/y zu Gast. Damals in ihrer Wohnung, in der die Bilder Möbel und Vorhänge zierten. Jetzt besuchten wir die „Masterskaja“.
Wer?
Hanna Remestvenska (* 1967) ist Gemeinwesenkoordinatorin und Fachbereichsleiterin Migration / Integration bei der Caritas. Zum Beispiel den Frühjahrsputz am 16. April wird sie wieder organisieren. Zur Kunst kam sie durch ihren Mann Dmytro Remestvensky, den sie schon aus der Universität kennt, in der Ukraine, wo sie Diplompsychologie studierte und als Schulpsychologin in der Schule arbeitete, in der ihr Mann Englischlehrer war.

Die Wende öffneten ihnen die Tür nach Deutschland. Das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge teilte ihnen vor 15 Jahren Chemnitz als Wohnort zu. Sie lebten sich ein und brachten sich ein, mit künstlerischen Projekten, mit sozialer Arbeit, ob bezahlt oder nicht. „Ich freue mich, wenn man mir sagt ‚Du bist ja von hier‘“, resümiert Dmytro. Er ist inzwischen als Sozialarbeiter in Freiberg angestellt, der Sohn schreibt seine Doktorarbeit in Wien.

Als sie sich endlich einbürgern lassen konnten, bescherte ihnen eine Steuerrückzahlung die fälligen Gebühren, was beide als Willkommenszeichen deuteten. „Der Sohn ist ausgezogen, ich habe mehr Zeit für mich“, das war für Hanna der Anstoß, selbst noch mehr kreative Ausdrucksformen zu suchen. Nebenbei als Hobby, wie sie betont, auch wenn die Kunst als Mittel, Menschen aus vielen Ländern zusammen zu bringen, etwa durch internationale Künstlermärkte oder Basteln mit den von der Wohnungslosenhilfe betreuten Menschen zu Weihnachten, gerade für den Sonnenberg eine Bereicherung des Gemeinwesens ist.

Beziehung zum Sonnenberg?
Auf Wohnungssuche Jahren gefiel ihnen das erste Angebot in der Gießerstraße. Seitdem haben sie den Stadtteil mit geprägt. Die bunte Mauer am Ausgang der Bazillenröhre wurde als „Art Mauer“ mit Kindern in mehreren Jahren gestaltet, nachdem Dmytro dort Nazischmierereien entdeckt hatte.

Hanna brachte das Yarnbombing als Streetart ein, etwa Laternenmasten als Symbol des bunten Sonnenbergs mit anderen Frauen zu umstricken. Und sie regt nicht nur andere an, „Grüne Oasen“ zu pflanzen und zur Prämierung zu melden, sondern sie ist mit Dmytro auch unter die Kleingärtner gegangen.

Wie sieht es im Atelier aus?
Im Erdgeschoss der Markusstraße 17 sah man lange die heruntergelassenen Rolläden wie an so manchem leeren Ladenlokal. Nur an kleinen Fenstern der hinteren Räume, welche die Caritas vor zwei Jahren für die Gemeinwesenkoordination angemietet hatte, tauchten bunte Plakate auf. Kein Vergleich mit heute: Das Schaufenster ist mit Hannas Werken dekoriert und bietet vollen Einblick in die Masterskaja. Das russische Wort für Atelier ist der Name.

Seit Oktober haben Hanna und Dmytro den vorderen Raum und die kleine Küche daneben renoviert, mit gebrauchten und im Garten aufgearbeiteten Möbeln ausgestattet. Der blaue Tisch, das weiße Schränkchen, die Kissen auf dem roten Sofa, die Polsterhocker, alles Unikate, „original Upcycling“. An den Wänden ausgewählte Bilder, ein Portrait von Dmytros Vater, ein Selbstportrait und Jugendwerke des Sohns, Werke von Künstlerfreunden wie von Boris Ostrowski oder von Osmar Osten, der eine Radierung zum Besuch in der Masterskaja mitbrachte. Ein Regal trennt die eigentliche Arbeitsecke ab, ein Sekretär mit „Millionen Utensilien, die gesammelt habe“, beschreibt Hanna. In der Küche stehen Öle auf dem Regal. Olivenöl, raffiniertes Reiskeimöl, Trockenblüten und Gewürze warten aber nicht auf ein leckeres Essen, sondern werden zu Seife gesiedet.

Welche Kunst gibt es?
Die Naturseifen sind kleine Wunderwerke, die Hanna ab und zu weitergibt oder andere selbst zu gestalten lehrt. Sie experimentiert ständig, zuletzt mit Keramik. Ein kleines Gitter aus Modelliermasse trägt aus Wolle plastisch gestickte weiche Rosenblüten. Ihre Hauptausdrucksform ist das Stricken. Solche Werke von ihr wurden schon in einer japanischen Galerie in New York ausgestellt.

Wie das? Hanna zeigt die leichten, weichen Tierfiguren, mit einem Skelett aus Draht, mit Füllwatte und gestrickter, gebürsteter Wolle. „In Japan kennt man unter dem Begriff Amigurumi gehäkelte Figuren, aus Mangas, den japanischen Comics. Ich habe zuerst nach Anleitung so etwas versucht und dann meinen eigenen Stil gefunden.“ Grobschlächtig wie ein Wollknäuel mit Kopf sieht das Schaf aus den ersten Versuchen aus, wie aus der Natur modelliert das neue Exemplar.

Stricken lernte sie mit sechs Jahren, Tiere – von der Schlange bis zur Ziege – halfen ihr als Einzelkind aus der Einsamkeit. „Aus dem Kopf“, oder „aus dem Bauch heraus“ wie ihr Mann sie verbessert, formt sie Masche um Masche. Eine Woche dauert das. Mit Fingerfertigkeit und Geduld setzt sie die räumliche Perspektive in Strick um, wohl einmalig in dieser Art. Anerkennung, auch aus New York, hat sie ermutigt.

Gleich sind sie unterwegs zu einer Ausstellung in London mit 100 Künstlern aus aller Welt. In der Masterskaja kann sie ihre Werke zeigen. „Ich bekomme überraschenden Besuch,“, freut sie sich. „Oder ich sehe die Leute vor dem Fenster, wie sie auf die Figuren zeigen, die Kinder mit großen Augen … guck mal! Wie süß!“ Zur Vielfalt auf dem Sonnenberg, der Kiezentwicklung, die ihr Mann im Gespräch so lobend benennt, leistet das Ehepaar Remestvensky weiter seinen deutlichen Beitrag.

Katharina Weyandt