Einer der jungen Künstler, die sich bewusst auf dem Sonnenberg ansiedeln, ist Martin Lucas Schulze (*1989).Wer?

Im Leipzig der Nachwendezeit geboren und aufgewachsen, war Martin Lucas Schulze mit 15, 16 Jahren in Chemnitz als Basketballer auf dem Sportinternat. „Bewegung spielt bei mir eine große Rolle.“ Da fand er Kontakt zur Graffiti-Szene, und hat, „wie das mit Leidenschaften so ist, in Leipzig ganze Straßen zugebombt“, erzählt er. Er wechselte vom Ball zur Farbe. An der Bernd-Blindow-Schule Leipzig wurde er erst Gestaltungstechnischer Assistent und machte dann sein Fachabi. „Danach habe ich mir ein Atelier genommen und alles mögliche an malerischen Experimenten durchexerziert.“ Damit ging er an die Hochschule für bildende Künste in Braunschweig, wo er in diesem Sommer sein Diplom in freier Kunst ablegte. Er war Stipendiat der Studienstiftung des deutschen Volkes, jobbte nebenbei im Ausstellungsaufbau und jetzt als Wachmann im Sächsischen Archäologiemuseum.

Beziehung zum Sonnenberg?

Schon vor einem Jahr zog er nach Chemnitz, um den Aufbau seiner Existenz als freier Künstler zu starten. Leipzig trieb ihn weg, er redet von „Hipsterwohnraum“ und „Gentrifizierung“, Chemnitz und speziell der Sonnenberg zog ihn an. „Künstlerkiez, das passt“, und über einen Besuch im Lokomov mietete er sich in einem kleinen Raum in der Jakobstraße 42 ein. In diesem Eckhaus mit den blauen Fensterrahmen hat Lars Faßmann weiteren Platz für Kreative geschaffen. Chemnitz begeistert Schulze auch mit seiner Maschinenbautradition, wodurch viel Knowhow in der Stadt sei. In Braunschweig hätten den Studierenden Werkstätten mit technischen Mitarbeitern zur Verfügung gestanden. „Die realisieren nichts selbst und stehen dann vor dem Nichts“, meint er kritisch.

Wie sieht es im Atelier aus?

Eine Werkbank, Werkzeuge, Holz, Pinwände aus Metall mit vielen Notizen, Fotos, technischen Skizzen, sorgfältig angepinntem zerknülltem Papier – es ist eine Werkstatt im Aufbau. Dass ein modernes Duschbad dazu gehört, so dass der Raum auch als Wohnappartement genutzt werden könnte, passt zum technischen Flair. Denn vom Malen hatte sich Martin Lucas Schulze schon zu Beginn des Studiums verabschiedet. Den meisten Platz nimmt in der Mitte eine Maschine ein.

Welche Kunst gibt es?

Eine weiße runde Platte mit einem ausgeschnittenen Kreis steht auf Tischbeinen, darin ein Rahmen, mit einem grauen Stoff bespannt. Auf der Platte ist ein Quadrat von speziell zugeschnittenen Metallleisten aufgeschraubt. Die Maschine wird angestellt, es ruckelt ein bisschen, dann fährt an einer beweglichen Leiste eine Art Druckkopf hin und her. Er druckt nicht Farbe auf ein Druckmedium, sondern wird mit destilliertem Wasser gespeist. Zeile für Zeile werden Wassertropfen auf den Stoff getupft. Dessen Oberfläche ist im Nanobereich verändert, er ist hydrophob, so dass die Tropfen in keiner Weise anhaften können, sondern fast auf der Fläche schweben wie in der Luft. Die Maschine ist sein Diplomstück, die er nach vier intensiven Arbeitsjahren in der Diplomausstellung im Juli in Braunschweig präsentierte. Zwischen zwei Buchdeckeln, bespannt mit dem gleichen Stoff, ist der Prozess als Diplomarbeit dokumentiert. Zuvor zeigte er schon Elemente bei der Ausstellung „Based in Chemnitz“ in der Neuen Sächsischen Galerie.

„Wenn man mich eine Schublade stecken will, bin ich in einem weiteren Sinne ein Bildhauer. Aber ich meine, ich baue Untersuchungsinstrumente. Symmetrien und Muster sind etwas Tiefes. Die Natur hat Lust, das hervorzubringen“, erklärt Schulze. Jede Bewegung verändert das Muster. Einmal pusten – kleine Tropen fließen zu großen zusammen, gleiten über die Kante auf den Boden. Später will er mit gezielten Störungen, von unten gegen den Stoff wie bei einer Trommelhaut, in den Ordnungsprozess eingreifen. „Dann entstehen Mutationen, wie in der Biologie, die zu Evolution führen.“ Er bezieht sich auf den Schweizer Jean Tinguely als Pionier der kinetischen Kunst, dessen Maschinen in vielen Kunstmuseen stehen. „Modus vom Verfall“ nennt Martin Lucas Schulze sein Werk. Der Verfall sei seine Konstante: „Ich will verstehen, wie das funktioniert.“

Die Maschine hat er komplett selbst programmiert. „Über das Projekt habe ich mir das technische Know How erschlossen. Was ich mit den Händen mache, bringt mich auf neue Ideen.“

Katharina Weyandt