Im Bandhaus neben dem Lidl trifft sich ein wichtiger Teil der Chemnitzer Musikszene.

Wer?

Der Gitarrist Paul Marcion zählt im ganzen Haus über zehn Bands oder Leute, die hier anderweitig kreativ sind. Da ist zum Beispiel Valentin Klose (Gitarre und Bass), er war von klein auf musikbegeistert. „Meine Eltern sind Künstler, haben in Schneeberg studiert. Ich war dort auf dem Gymnasium und habe in diversen Schulbands mitgespielt.“ Oder Jan Pfaue (Gesang und Bass). Oder Eugen Kratov, der erst vor drei Jahren Gitarre gelernt hat und seit einem Jahr dabei ist: „Die Jungs haben mir ermöglicht, schnell zu lernen und das Bandgefühl zu entwickeln“, freut er sich. Die meisten studieren, machen eine Ausbildung, arbeiten, zwei verdienen ihr Geld als Gitarrenlehrer.

Beziehung zum Sonnenberg?

Die Musiker wohnen in Bernsdorf, auf dem Kaßberg, im Lutherviertel. Paul, der seinen beruflichen Weg als Azubi in den alten Räumen von Theodor Wiedes Maschinenfabrik bei der Firma Elan begann, wohnt direkt vis à vis. Er hält den Kontakt zur Zwangsverwaltung es Gebäudes. Ein Großvater hatte es an seine minderjährige Enkelin vermacht.

Wenn sich die Besitzverhältnisse ändern, wünscht er sich hier so was wie das Bandbüro am Brühl als festen Anlaufpunkt. Die Musiker kennen den Wert der Räume. Eine Berliner Band zu Besuch staunte: „So was wie hier haben wir noch nicht erlebt. Es ist nicht auffindbar, weil es zu sehr underground ist, oder nicht bezahlbar.“ Eine „zweistellige Stundenzahl“ verbringen manche pro Woche hier.

Wie sieht es im Probenraum aus?

Vier hintereinander liegende Räume mit Fensterfront zum Lidl-Parkplatz werden von Pauls Band und drei anderen Bands für verschiedene Projekte genutzt. Ein Proberaum-Kollektiv mit 13 Mitgliedern nennen sie es. Im Winter leisten sie sich nur die elektrische Heizung für einen Raum. Als die Flächen 2016 gemietet wurden, waren sie bis auf die alten Bürogardinen leer. Jetzt sind sie vollgestopft mit Gitarren, Schlagzeug und Technik, aber auch mit Sofas zum Zusammen sitzen. Alte Perserteppiche dienen der Akustik, auch ein Kinderzimmerteppich an der Wand.

Manche Wände sind türkis mit silbernem Muster gestrichen, und wo noch Platz ist, hängen Plakate von Konzerten. Die Deckenlampe ist in Wirklichkeit eine Stehlampe verkehrt herum. „Bekloppte Idee ausleben“ nennt es Paul, aber bei mindestens 5 Meter Deckenhöhe fällt das gar nicht auf. Chipstüten, Bier, Wasserkocher und Earl Grey stehen bereit. Und Whiteboards, um Ideen, Zitate und Aufgaben zu notieren.

Welche Kunst gibt es?

Musikalische Ideen werden diskutiert, ausprobiert, geübt, aber sie sind nicht auf Krampf sofort kreativ, sagt Paul, sondern nutzen den „safe space unter uns, erst mal ankommen nach der Arbeit“. „AMORF“ und „Purple Sage“ spielen Blues und Rockn’ Roll.

Das verbindet Generationen. Eugen hält die Gitarre in Ehren, die sein Großvater 1960 aus der Sowjetunion mitgebracht hatte.

„The and the dead bitches“ machen experimentelle Musik. Außerhalb der Coronazeit treten sie auf, besonders bei kleinen privaten Veranstaltungen, mal jedes Wochenende, dann mal zwei oder drei Monate nicht. Ihre Musik ist analog, nicht rein elektronisch, auch wenn Rechner und Audio-Interface wichtig sind. Im Lockdown im Frühjahr nahmen sie Stücke auf.

Valentin, der in vier verschiedenen Bands spielt, erzählt, dass sie im besten Fall alles gleichzeitig einspielen. Bei AMORF werden hingegen laut Paul Schlagzeug, Gitarren, Bass nacheinander eingespielt. Dafür brauchen sie den Probenraum, wo sie alles von einem Abend auf den nächsten genau stehen lassen können. Wenn sie mit dem Album fertig sind, will AMORF den Support einlösen, den sie als Vorband für andere Bands aus Berlin, Frankfurt, Münster bis nach Graz und Kalifornien geleistet haben, also über diese Bands anderswo Auftritte kriegen.

„Das ist die Vorstufe vor der professionellen Schiene über eine Bookingagentur“, erklärt Paul. Für sie als lokale Band sei es sonst schwer, einen Auftritt in einem großen Club oder einer Konzerthalle zu bekommen, weil das Potential von unbekannten Bands, Umsatz zu bringen, nicht so hoch eingeschätzt würde. Aber durch das gute Netzwerk, Freundschaften, das Bandbüro würde man sich viel zuspielen. „Chemnitz ist wie ein Dorf, es geht Hand in Hand“, schwärmt Paul. „Das kenn‘ ich so nicht aus anderen Städten wie Dresden und Leipzig.“

Und dann werden nacheinander vier Handies an den Verstärker gesteckt, um Proben hören zu lassen. Die Gäste sind begeistert und wünschen sich mehr. Vielleicht einmal in der Bazillenröhre, ein paar Hundert Meter weiter?

Text: Katharina Weyandt
Fotos: Eckart Roßberg