Am 1. Mai 1886 startete das heute von Lutz Böttger in vierter Generation unter dem Motto „Alles was schneidet“ geführte Fachgeschäft.

Wie hat alles angefangen?

 

Oscar Böttger

Den Grundstein legte Oscar Böttger. (Bild 1) In Dresden erlernte er bei der Firma Kunde den Beruf eines Messerschmiedes. 1886 zog er mit seiner Frau Marie nach Chemnitz in die Lerchenstraße 6 (heute Nr. 11). Er kaufte die Maschinen eines Messerschmiedes aus Großenhain und begann am 1. Mai 1886 sein Handwerk zunächst in seiner Wohnung. Die Kundschaft brachte damals Rasiermesser, Federmesser zum Anspitzen der Gänsefedern, die man zum Schreiben benutzte, Hufmesser für Pferde, Sensen und allerlei manuelle Werkzeuge für die verschiedendsten Handwerksberufe, wie Schneider, Buchbinder, Schuhmacher, Schlachter und Metzger.

Sehr bald richtete er sich eine Werkstatt am Johannisplatz 3 ein – jetzt schon mit elektrischem Motorantrieb. (Bild 2) Von 1890 bis 1912 wohnte und arbeitete Oscar Böttger am Brühl 14 bzw. 28, ehe dann der mittlerweile als „Oscar Böttger – Messerschmiederei u. Hohlschleiferei mit Motorbetrieb“ bekannte Handwerksbetrieb in der Dresdner Straße 15 einen bis 1980 festen Firmensitz hatte. (Bild 3)

Maria und Oscar Böttger vor der Dresdner Str. 15

Am Brühl wurde das Ladengeschäft fester Firmenbestandteil, um das sich seine Ehefrau Maria kümmerte. Verkauft wurden Haushaltwaren, Werkzeuge und Solinger Stahlwaren, z. B. Brenneisen zum Formen der Locken und Bestecke.

Eine besondere Ära in der Firmengeschichte war die etwa um 1910 aufgenommene Produktion und der eigenständige internationale Verkauf von Trennmessern für Plüschwebstühle und Weberpinzetten. Die Entwicklung erfolgte für die Sächsische Webstuhlfabrik (Louis Schönherr) Chemnitz. Bestellungen kamen aus aller Welt, wo eben Schönherrs Webstühle arbeiteten.

Parallel zur Firma seines Vaters Oscar Böttger hatte Sohn Reinhold, der bei seinem Vater den Beruf des Messerschmiedes erlernte und anschließend auf Wanderschaft gegangen war, 1910 in der Reitbahnstraße 29 ein eigenes Unternehmen „Messerschmiederei und Schleiferei“ gegründet.

1917 starb Oscar Böttger. Seine Frau Maria und die jüngste Tochter Alma führten das Geschäft fort. 1919 kam Reinhold Böttger aus dem Krieg zurück und übernahm neben seiner eigenen Firma nun auch die seines Vaters. (Bild 4) Diese war nun das Hauptgeschäft und das Geschäft in der Reitbahnstraße 29 eine Filiale. 1936 verlegte Reinhold Böttger diese Filiale in die Reitbahnstraße 3,  in ein Haus hinter dem Kaufhaus Tietz.

Dresdner Straße 11-25 um 1980

Gegen Ende des 2. Weltkrieges bei den Bombardierungen im März 1945 traf es die Firma sehr hart. Das Haus Reitbahnstraße 3 wurde vollständig zerstört. Dass dem Haus in der Dresdner Straße 15 nicht das gleiche Schicksal widerfuhr, war der Umsicht und dem Mut von Reinhold Böttger und seiner Familie zu verdanken.

Während seine Frau Johanna die Ware in den geborstenen Schaufenstern vor Plünderern sicherte und im Ladenbereich den Funkenflug abwehrte, waren Reinhold und Tochter Hildegard abwechselnd oben im Haus und im Werkstattgebäude, sicherten dort, entfernten Brandbomben vom Dach, löschten, wo plötzlich Flammen züngelten, kühlten Wände und den Dachstuhl, der an das brennende Nachbarhaus, Dresdner Straße 13, grenzte. Von diesem und dem Haus Nr. 19 blieben nach dem Krieg nur die Erdgeschossbereiche erhalten. (Bild 5)

Der Neubeginn war schwer. Die sogenannte „lange Ware“ musste abgegeben werden, da die langen Messer als Waffen eingestuft wurden. Mit Beginn des Wiederaufbaus wurden Handwerk und Industrie enge Partner der Firma. Das Werkstattprofil passte sich den Aufträgen an. Zunehmend wurden auch medizinische Instrumente für Krankenhäuser sowie verstärkt auch moderne Arbeitsgeräte verschiedener Handwerkerfirmen und der Industrie geschliffen und repariert.

Im Jahr 1963 übergab Reinhold Böttger die Leitung des Familienunternehmens an seinen Sohn Horst Böttger. Dieser stand an Fähigkeiten seinem Vater in keiner Weise nach, musste er doch in den Jahren 1970 bis 1990 in vielerlei Hinsicht improvisieren, musste Ersatzlösungen finden, um Mangel an Ersatzteilen und Werkstattbedarf auszugleichen. Er bildete 8 Lehrlinge und Umschüler aus und begleitete Meisteranwärter.

Reinholds Tochter Hildegard führte das Ladengeschäft bis 1990 allein durch schwere Handelszeiten. Ihre besondere Liebe galt den Lehrlingen der Frisöre, Schneider, Gärtner, Köchen und Fleischer. Für deren Erstausstattung wurden die ohnehin schon rationierten Scheren und Messer zurückgehalten. Sehr belastend war das leider notwendige häufige Ablehnen von Kundenwünschen in den 70-er und 80-er Jahren. Reinhold, mit Leib und Seele Messerschmied, arbeitete weiter in der Werkstatt, bis er 1975 im Alter von 96 Jahren starb.

Ältere Sonnenbergerinnen und Sonnenberger werden sich an das Geschäft in der Dresdner Straße 15 bestimmt noch gut erinnern, so wie meine Frau Gabriele (*1949). Sie berichtet:

„In meiner Kindheit ging meine Mutter mit meinem Bruder und mir manchmal zur Messerschleiferei Böttger auf der Dresdner Straße. Dort ließ sie hauptsächlich Küchenmesser und große Scheren wieder schärfen. Der Laden war für uns Kinder immer ein Erlebnis und sehr interessant. Kleine Scheren zum Basteln öder später für den Handarbeitsunterricht wurden hier gekauft. Das erste kleine Taschenmesser für meinen Bruder wurde ebenfalls bei Böttger ausgesucht.“

Hartmannstr. 16 im Jahr 2005

Pläne der Stadtverwaltung, das Haus Dresdner Straße 15 abzureißen, hätten 1980 fast das Aus des traditionsreichen Familienunternehmens zur Folge gehabt. Irgendwelche baulich nicht geeigneten oder versteckt liegende Gewerberäume, „die uns von der Bevölkerung und der Kundschaft trennen“, wollte Horst Böttger nicht beziehen. Er machte sich stark, wusste er doch, dass er wichtiger Partner des Gesundheitswesens war und seine Firma auch weiterhin gebraucht wurde. So bekam er das Ladengeschäft mit angeschlossener Werkstatt in der Hartmannstraße 16 (damaligen Helmut-Just-Straße) unmittelbar neben der Brücke über die Chemnitz. (Bild 6)

Sohn Lutz Böttger (*1955), der erfolgreich als Diplomingenieur im Maschinenbau gearbeitet hatte, gab im Sommer 1989, als sein Vater das Rentenalter erreicht hatte, seine Arbeit auf, ging bei seinem Vater in die Lehre und legte ein knappes Jahr später erfolgreich die Prüfung als Schneidwerkzeugmechaniker ab.

Am 1. Juli 1990 übergab Horst Böttger die Leitung des Familienunternehmens an seinen Sohn Lutz.

Nach und nach wurde der Warenbestand aufgebaut und das Sortiment erweitert. Auf Kundenwunsch wurden Messer und Kinderbestecke in der eigenen Werkstatt auch graviert. Für Sonderanfertigungen hatte Lutz Böttger auch ein offenes Ohr. Das wohl bekannteste Stück in Chemnitz ist des Türmers Hellebarde.

Die Hartmannstraße 16 war aber noch nicht der letzte Standort für das Unternehmen.

Abriss an der Hartmannstraße 2010

Im Zuge des Neubaus der Brücke über die Chemnitz entstanden Anfang 2010 in der Grundmauer des Hauses Hartmannstraße 16 mehrere Risse und ein großes Loch. Das bedeutete für Lutz Böttger die Kündigung, Geschäftsschließung und Auszug. Ein Ausverkauf und geordneter Rückzug war nicht möglich. Vieles wurde ausgelagert. In dieser Zeit verkaufte Lutz Böttger auf dem Parkplatz hinter dem Haus aus einem Auto heraus. Aufträge nahm er in geringem Umfang an und ließ sie durch Berufskollegen realisieren. Nachdem er vergeblich nach geeigneten und bezahlbaren Räumen für eine Werkstatt mit einem Ladengeschäft gesucht hatte, entschloss er sich im Herbst 2010 bei der FLEIGENO, Planitzwiese 25, eine Werkstatt zu mieten, allerdings erstmals ohne Ladengeschäft. Das Haus Hartmannstraße 16 war unterdessen im August 2010 trotz Protesten von Abrissgegnern abgerissen worden. (Bild 7)

Sonnenstraße 20 am 30. August 2016

Lutz Böttger vor seinen Maschinen am 9. Februar 2021

Nach etwa 2,5 Jahren zog die Firma erneut um. Am 1. August 2013 konnte Lutz Böttger seine Firma „Schleiferei und Schneidwaren“ mit Werkstatt und Verkauf in der Sonnenstraße 20 eröffnen. (Bild 8) In der Werkstatt stehen z.T. noch Maschinen aus der Zeit seines Großvaters Reinhold Böttger. Im Laden sind auch noch wenige Stücke der alten Ladeneinrichtung zu sehen.

Blick in die Schleiferei Böttger am 9. Februar 2021

Seit einem Jahr hat das Geschäft wie so viele Firmen mit den Problemen der Coronapandemie zu kämpfen. Man kann nur hoffen, dass Lutz Böttger mit seinem traditionsreichen Unternehmen auch diesen Einschnitt übersteht. (Bild 9 und 10)

Text: Lutz Böttger / Eckart Roßberg

 

 

 

Fotos: Sammlung Lutz Böttger (Bild 1-4/6-7), Eckart Roßberg (Bild 8-10), Sammlung AG Sonnenberg-Geschichte (Bild 5)

Bild 1     Oscar Böttger

Bild 2     Visitenkarte Oscar Böttger Brühl 14 und Johannisplatz 3

Bild 3     Firma an der Dresdner Straße 15

Bild 4     Visitenkarte von Reinhold Böttger für Dresdner Straße 15 und Reitbahnstraße 29

Bild 5  Dresdner Straße 11-25

Bild 6  Hartmannstraße 16

Bild 7     Abriss des Hauses Hartmannstraße 16 im Jahr 2010

Bild 8     Geschäft in der Sonnenstraße 20

Bild 9     Lutz Böttger in seiner Werkstatt

Bild10    Blick in den Verkaufsraum