Ahmed Alsaadi war schon früher auf dem Sonnenberg zu sehen, aber fand erst in diesem Jahr nach seiner Anerkennung als Flüchtling einen Raum zum Malen.

Wer?

Ahmed Alsaadi ist 1990 im Irak geboren. Er hatte in seiner Heimatstadt Basra Schauspiel studiert und war 2010 angesichts der politischen Konflikte zum weiteren Studium der Theaterwissenschaften in die Türkei und andere Länder gereist. Zu Fuß über Ungarn und Bulgarien erreichte er Deutschland, im März 2015 Chemnitz. Er beantragte Asyl, aber erst im Dezember letzten Jahres wurde er als Flüchtling anerkannt. Die Liebe zur Kunst, Literatur und Musik vermittelte ihm sein Onkel, ein berühmter Autor. Auch der lebt in Deutschland, aber noch im Asylbewerberheim.

Alsaadi erzählt: „Mit elf Jahren habe ich begonnen zu lesen. Kafka ist mein Lieblingsautor, auch Dostojewski.“ Neue Literatur landet auf dem Stapel: „Herta Müller – mein Onkel sagt, du musst das lesen, aber das habe ich noch nicht.“

Über die Kunst und seine Kontaktfreude hat er seinen Platz gefunden: Durch einen Auftritt vor Jahren als Pantomime auf dem Geburtstag seines Freundes Adel Matar, inzwischen Sonnenberger Stadtteilrat, lernte er die Theatergruppe Turmbau 62 kennen, trat im „Woyzeck“ und „Andorra“ auf. Auch in vier Kurzfilmen spielte er mit.

Eine Mitarbeiterin aus dem Asylbewerberheim, selbst Künstlerin, gab ihm Farben und organisierte dort die erste Ausstellung. In der Markuskirche und 2017 im Bürgerzentrum – organisiert von Ingrid Burghoff vom „Atelier 8-80“- zeigte er seine Bilder. Zwei Jahre absolvierte er mit sehr guten Noten in Leipzig eine Ausbildung als Maler und Lackierer.

Über seine Flucht 2015 begann er zu schreiben: „Eine „kurze Geschichte – jetzt sind es schon 87 Seiten und sie ist noch nicht fertig. Das wird irgendwann ein Roman“, meint er. Und erklärt: “Da reden fünf Personen– jede ist etwas von meiner Person.“

 

Beziehung zum Sonnenberg?

„Ich liebe den Sonnenberg“ sagt er mit strahlendem Lächeln. Über Freunde lernte er das Lokomov kennen. Als er in diesem Frühjahr nach der Anerkennung als Flüchtling endlich aus dem Heim ausziehen durfte, suchte er hier seine erste eigene Wohnung. Obwohl er 2018 anderes im Sinn hatte: „,Ich glaubte, nach den Demos mit den Nazis wird Chemnitz nie wieder wach. Ich wollte, wenn ich meinen Aufenthaltsstatus habe, wegziehen. Aber als Chemnitz Kulturhauptstadt wurde, dachte ich, ich bleibe bis 2025, ich mache Kultur, das ist meine beste Chance.“ Den Sonnenberg sieht er in der Zukunft als „festes Kultur- oder Künstlerviertel“. Und betont: „Ich bin sehr stolz, ich bin Künstler, ich gehöre zu Chemnitz.“

 

Wie sieht es im Atelier aus?

Hinter dem großen Hoftor der Reinhardtstraße sieht man Lastenräder mit Kindersitz und andere Räder, Beete in Brettereinfassung, Sandkasten, Holz, eine Feuerschale. Zwei große Fische hat ein früherer Bewohner an die Mauer gemalt.  Über einen Freund fand Ahmed Alsaadi kostenlos einen Raum im unsanierten Hinterhaus.

Obdachloser (Foto: Stephan Weingart)

Im Atelier im zweiten Obergeschoss erinnert ein großer Schaltkasten an den „VEB Technische Filze Wurzen“, der hier eine Betriebsstätte hatte. „Ich will da mal was künstlerisch mit machen“, sagt Ahmed. Ein Teppich wie vom Sperrmüll, Malerfilz, Matratzenteile, leere Rahmen, Plakafarben, ein Wasserkocher – der Raum ist spartanisch ausgestattet. Beim Malen hört er gern klassische Musik, Bach, Mozart, Beethoven, wie er es von zu Hause kennt.  In den kalten Wochen arbeitete er mangels Heizung zu Hause, mit Bleistift. Aber hier hat er endlich Platz für seine Bilder.

 

Ahmed Alsaadi mit dem gemeinsamen Bild mit Eileen Meiswinkel (Foto: Stephan Weingart)

Welche Kunst gibt es?

Eine schwarze Hand reckt sich fast plastisch von der Leinwand. „Leute erschrecken, schreien, suchen Hilfe, Freiheit, den richtigen Weg“, erklärt er. Viele seiner Freunde im Irak sind tot, er lebte lange in Unsicherheit, Malen war für ihn Therapie. Ja, viele fänden seine Werke „richtig gruselig“, weiß er. „Surreal und abstrakt“ male er. Oder anders gesagt: „Ich male und weiß nicht was, und am Ende sieht man die Figur.“ Er erklärt Motive: „Waldbrände in Australien, ein Mädchen tanzt Ballett, da – eine echte tote Fliege als Symbol für die vielen verbrannten Tiere“. Oder ein Obdachloser, den er in Leipzig traf. „Der hatte Sozialarbeit studiert, aber keine Lust zu Bürokratie. Ich wollte ihn fotografieren, aber er sagte „bitte nicht“, da habe ich ihn aus der Erinnerung gemalt, ein weißes Licht im Auge wie vom Kamerablitz, im Hintergrund sitzen andere Obdachlose am Feuer.“

Auf einem runden Holzbrett malte er gemeinsam mit Eileen Meiswinkel, einer Künstlerfreundin. Sie einen Sonnenuntergang am Wald, er auf seiner Hälfte Berge mit Meer? Er ist für Interpretationen offen.

Doppelgesicht, gleichfalls gemeinsam mit Meiswinkel (Foto: Ahmed Alsaadi)

Auch an Skulpturen versucht er sich. Auf dem Handy zeigt er ein Foto eines sitzenden Kafka, aus Ton modelliert. Aber seinem Zimmer im Heim gegenüber wohnte ein strenggläubiger nordafrikanischer Moslem, der hatte die Figur zerstört. „Im Islam sind Bilder verboten, weil die Leute Statuen als Götter angebetet haben“, weiß Ahmed Alsaadi. In seiner neuen Freiheit würde er gerne eine große Skulptur für draußen gestalten. Er überlegt: „Mit Holz, Ton, Metall, Plastik … oder mit Müll!“

Katharina Weyandt