Wer?

1989 im niedersächsischen Osnabrück geboren, widmet sich Henrike Schmitz künstlerisch der Beziehung zwischen Mensch und Maschine durch Material. Zunächst in ihrer Ausbildung zur Herrenmaßschneiderin in Bielefeld, Stadt mit traditioneller Textilindustrie, nähte sie überwiegend mit der Hand. Ausbilderin war die renommierte Modedesignerin Maria Grefe, die sich der nachhaltigen Produktion mit Materialien höchster Qualität verschrieben hat: mit perfektem Schnitt und vielen Anproben entsteht ein Kleidungsstück, was lange getragen werden kann. Daraus nahm Henrike Schmitz das Ziel mit, Ressourcen zu schonen. Aber angesichts der Kosten der Arbeitsstunden ist für Maßschneiderei der „Kundenkreis begrenzt“, war ihr bald klar, der Spielraum ihres Schaffens eng, sie wollte mehr ausprobieren.

Über eine Arbeitskollegin erfuhr sie von der Möglichkeit, an der Kunsthochschule Berlin-Weißensee Textil- und Flächendesign zu studieren. Als sie ein Stipendium gewann, eine selbst entworfene Kollektion in Apolda produzieren zu lassen, das sich als ehemalige Texthauptstadt Thüringens bezeichnet, fand sie zur Strickmaschine.

Nach einem Auslandssemester an der schwedischen Textilhochschule Borås begann sie eine Zusammenarbeit mit dem Sächsischen Textilforschungsinstitut in Chemnitz. Hier hat sie zur Zeit eine halbe Stelle bei der Online-Plattform Textil-Trainer, über die Quereinsteigern in der Textilindustrie Grundlagenwissen vermittelt wird. Vielleicht wird sie an der TU Chemnitz promovieren, im Fach Maschinenbau. „Gestaltung und Technik treffen sich“, erklärt sie, und erinnert: “Früher waren Kunst und Handwerk viel mehr miteinander verbunden.“ Sie forscht mit an neuen Wegen zu nachhaltiger und bezahlbarer Produktion in Deutschland mittels hochwertigem Material wie Merinowolle und Digitalisierung. Seit zwei Jahren hat sie auch einen Lehrauftrag an der TU Dortmund in Grundlagen der Gestaltung und textilen Technologien.

Beziehung zum Sonnenberg?

Wegen der Rundstrickmaschine im Textilforschungsinstitut suchte sie ein WG-Zimmer in Chemnitz und fand es in der Würzburger Straße. „Leerstand kannte ich gar nicht. Ich fand es faszinierend, was man alles starten konnte“, erinnert sie sich. 2018 stellte sie das erste Mal beim „Hang zur Kultur“ mit aus. Mandy Knospe bot ihr ein Atelier in der Jakobstraße 42 an, gegenüber vom „Zietenpark“. Weitere Ausstellungen auf dem Sonnenberg folgten. Ihr Wohnort ist inzwischen in Leipzig, aber Zentrum ihrer Arbeit ist hier.

 

Wie sieht es im Atelier aus?

Hell, sauber, trocken, so wie es ihr textiles Material es braucht. Stoffballen liegen auf einer Ablage unter einem weißen Tisch. Musterstoffe verschiedener Art, zum Teil bedruckt, hängen an Klemmbügeln an einem Ständer. Andere sind in Musterbüchern gebunden. Eine Industrienähmaschine steht bereit. Eine Küchenzeile und eine Musikanlage mit Plattenspieler sorgen für Verpflegung und Schwung. Die Hochleistungs-Rundstrickmaschine der Traditionsfirma Terrot, ihr Hauptwerkzeug, wird im Foto gezeigt.

Welche Kunst gibt es?

„Eine Rundstrickmaschine produziert Stoffe aus ganz feinen Maschen, auch changierend, mit sanften Übergängen. Eine Flachstrickmaschine erfordert sehr viel mehr Programmierarbeit und ergibt ein gröbere Strickstruktur“, erklärt Henrike Schmitz. Sie verwendet Restgarne von Firmen, wieder ein Aspekt der Nachhaltigkeit. Die Objekte wirken in der Umgebung. Zum Beispiel der schallschluckende Vorhang im Café des Theaters KOMPLEX ist von ihr. Jetzt bereitet sie eine Residenzeinladung, einen künstlerischen Aufenthalt, auf den Dächern von Antwerpen vor. „Dort ist ein ehemaliges Arbeiterviertel jetzt sehr angesehen. Mit Kunst sollen die Leute auf die Dächer gelockt werden. Ich will für meine Installation Industrieabfälle verwenden, habe schon Seilereien ausfindig gemacht. Vielleicht werde ich eine Bespannung einsetzen oder Fahnen oder Räume abteilen“, überlegt sie. Dass ihre Werke das Publikum anregen, erlebten wir direkt bei diesem Kunstgespräch – so viele eigene Gedanken und Erinnerungen wurden eingebracht wie wohl noch nie. Wieder betont Henrike Schmitz ihr Ziel der Nachhaltigkeit: “Ohne emotionale Bindung verändern Menschen nicht ihre Gewohnheiten.“

 

Katharina Weyandt

Fotos:   Eckart Roßberg

 

Nächstes Kunstgespräch mit allen Interessierten am Freitag, 16. September, 18 Uhr bei Simone Michel (Diplom-Designerin) im Gewerbepark Palmstraße 17/19, 2. Etage – mit Malerei/Grafik, Lichtobjekten, Plastiken, Marionetten, Schmuck, anderen Objekten.