Im letzten „Sonnenberger“(1/24) wurde eine umfangreiche Recherche zur Geschichte der Galeriehalle in der Gießerstraße 5 durch Eckart Roßberg veröffentlicht. Im Zusammenhang mit dieser Halle wurde die Rolle der industriellen Gründerzeit auf diesem Teil des Sonnenbergs mit behandelt.

Es war der Beginn der Industrialisierung und des wachsenden Kapitalismus auch in Chemnitz. Eine Vielzahl von Menschen suchte in der Stadt nach Arbeit und fand diese in der aufstrebenden Industrie. Schneller und billiger Wohnraum musste geschaffen werden, damit die Arbeiter mit ihren Familien möglichst in Fabriknähe leben konnten. Und damit begann auch die eigentliche Bebauung vom Sonnenberg.

Aber auch Regelungen zur Entlohnung der Arbeitskräfte mussten genauso entwickelt werden wie die erforderlichen Verhaltensweisen im Betrieb bzw. am Arbeitsplatz. Erste Fabrikordnungen entstanden, in denen diese Dinge geregelt wurden. Die Fabrikordnung der Maschinenfabrik Richard Hartmann von 1862 war eine richtungsweisende Regelung zum Verhalten im Betrieb, auf deren Grundlage andere Firmen ihre Fabrikordnungen formulierten. Mit 48 Paragraphen wurden die Angelegenheit der Arbeitszeit, der Entlohnung, des Verhaltens am Arbeitsplatz und vieles Andere festgelegt. Bei Verstößen waren ebenfalls die zu erwartenden Strafen festgeschrieben.

Fabrikordnung zum Verhalten im Betrieb.

Ein wichtiges Detail der Galeriehalle ist der Glockenturm mit der Jahreszahl 1865, bei dem aktuell die seinerzeit wichtige Glocke fehlt. Diese war für den betrieblichen Arbeitsablauf eine wichtige Signaleinrichtung, denn sie gab sowohl den Arbeitsbeginn als auch das Arbeitsende an. Mit diesem Glockenzeichen (in anderen Betrieben war es eine Dampfpfeife) wurden die Schließung der Firmentore angekündigt und beim Verklingen des Signales geschlossen. Und wer nicht rechtzeitig am Platz war, musste vor dem Tor bis zum nächsten Einlass warten. Diese Verspätungen hatten selbstverständlich Konsequenzen für den Arbeiter, denn außer dem Lohnabzug musste auch eine Strafgebühr entrichtet werden.

Mit dem Ertönen der Glocke zu Arbeitsende wurden die Werktore wieder geöffnet und die Arbeitermassen strömten nach Hause. Um 1865 betrug die wöchentliche Arbeitszeit 65 Stunden/ Woche und ging von Montag bis Samstag. Der Arbeitsbeginn begann montags um 7.00 Uhr und an den nachfolgenden Tagen bereits um 6 Uhr. Unterbrochen wurde die tägliche Arbeitszeit durch 30 Minuten Frühstücks- und 60 Minuten Mittagspause. Während das mitgebrachte Frühstück meist am Arbeitsplatz oder im Pausenhof verzehrt wurde, brachten oft Familienangehörige das karge Mittagessen an das Werktor, wo die hungrigen Arbeiter dies dankend entgegennahmen. Selten geschah es, dass die Wohnungsnähe zum Essen zu Hause genutzt wurde, denn pünktlich mit Pausenende läutete wieder die Turmglocke und die Toren schlossen sich.

Der Pfarrer Paul Göhre, der sich 1891 für drei Monate in einem Chemnitzer Industriebetrieb verpflichtet hatte, schrieb in seinem Bericht: „Für das Mittagessen war auch bei uns die übliche Stunde von 12 bis 1 Uhr frei. Grundsatz war für alle: Wer zu Tisch nach Hause kommen kann, geht nach Hause. Und das war in unserer Fabrik doch einer sehr großen Zahl möglich. Und so wiederholte sich täglich in unserer Vorstadt ein interessantes Bild. So wie die Dampfpfeifen (oder Signalglocke) punkt 12 Uhr ihr Signal gaben, waren mit einem Schlage die sonst stillen Straßen mit Hunderten von Menschen belebt, die im schnellen Schritt in der verschiedensten Richtung, allein oder zu zweien , …, vorüber eilten. Und dasselbe Bild eine Stunde später, kurz vor 1 Uhr, bis dasselbe Signal die Straßen wieder säuberte.“

Viele der Arbeitsgenossen brachte die Mittagsstunde ganz in der Fabrik zu. Es waren alle diejenigen, die zu weit ab von der Fabrik wohnten, und zu sparsam waren oder zu wenig verdienten, um ein warmes Mittagsbrot zu bezahlen. Sie begnügten sich meist mit einem gleich kalten Imbiss, wie zum Frühstück und mit Kaffee, oder sie wärmten sich Tag für Tag das Gemüse, das ihnen die Mutter oder die Frau am Abend vorher schon bereitet hatte, und das sie des Morgens in einem Blechkännchen mit in die Fabrik brachten.“

Galeriehalle in der Gießerstraße 5.

Glockenturm von 1865.

Mit hohen Strafen wurden vor allem das Rauchen bzw. das Alkoholtrinken im Betrieb geahndet.Bei einem wöchentlichen Verdienst von 2,5 – 4 Talern (ein Taler = 15 Neugroschen) waren Strafen von 5 – 15 Neugroschen für die zu ernährenden Familien recht schmerzhaft.geahndet.

Aktuell ist der Glockenturm neben den noch vorhandenen gusseisernen Torsäulen ein Beleg für die einst geltenden Vorschriften der Fabrikordnung. Wir sollten in der Gegenwart nicht vergessen, dass alle Entwicklungen und Verhältnisse auf dem Arbeitsmarkt die Ergebnisse von engagierten Klassenkämpfen waren. Und davon war auch der Sonnenberg stark betroffen.

 

Jürgen Eichhorn (AG Sonnenberg-Geschichte)