Der Steinerne Wald unter dem Elektronenmikroskop
Während die Ausgrabung an der Glockenstraße in der Winterpause ist, werden die Funde ausgewertet. Wissenschaftler der Professur Oberflächentechnik/Funktionswerkstoffe dringen mit dem Elektronenmikroskop tiefer als je zuvor in Fundstücke des Versteinerten Waldes von Chemnitz hinein.
Die Pressestelle der TU Chemnitz berichtet:
Im Boden der gesamten Stadt Chemnitz schlummert seit langer, langer Zeit ein kostbarer Schatz. Gemeint ist eine uralte Welt voller Pflanzen und Tiere, die nach einem Vulkanausbruch im Perm von Asche umhüllt und anschließend zu Stein wurden. 1737 stieß man zum ersten Mal bei Schachtungsarbeiten in Hilbersdorf – einem heutigen Stadtteil von Chemnitz – auf die mächtigen Kieselhölzer. Später schenkte der Bauunternehmer Güldner dem Chemnitzer König-Albert-Museum mehrere von ihm gefundene versteinerte Stämme. Die meisten von ihnen sind heute im Museum für Naturkunde im TIETZ ausgestellt. Der „Versteinerte Wald Chemnitz“ ist das größte und schwerste pflanzliche Fossil Europas und zählt zu den herausragendsten Naturdenkmälern der Welt.
Herausragendste Naturdenkmäler im Boden des Sonnenberg
Wissenschaftlicher Ehrgeiz und begründete Hoffnung auf hochinteressante Funde haben dazu geführt, dass in Chemnitz heute wieder regelmäßig nach den detailreichen Überlieferungen des Versteinerten Waldes gegraben wird. Die vor mehr als fünf Jahren an der Frankenberger Straße begonnenen wissenschaftlichen Grabungen unter Leitung des Museums für Naturkunde zeigen, dass weitere Vorkommen tropischen Regenwaldes vorhanden sind. Von 2008 bis 2011 wurden etwa 630 Versteinerungen von Baumstämmen und Verzweigungen sowie 1.200 Pflanzen- und Tierabdrücke, unter anderem auch die ersten Skorpione aus dem Perm entdeckt.
Die Reaktionen von internationalen Wissenschaftlern sind bereits jetzt überwältigend. Große Forschungsförderer wie die VolkswagenStiftung haben die Auswertung der spektakulären Funde begleitet und unterstützt. Im Ergebnis des von der Europäischen Union geförderten „Fensters in die Erdgeschichte“ befindet sich das Grabungszelt seit Mai 2013 an der Glockenstraße. Zehn Jahre lang sollen dort auf 200 Quadratmetern vulkanische Gesteinsschichten bis in drei Meter Tiefe vorsichtig abgetragen, dokumentiert und auf Lebensspuren untersucht werden.
Forscher arbeiten zusammen
Die Forscher der Professur Oberflächentechnik/Funktionswerkstoffe der Technischen Universität Chemnitz unterstützen diese Schatzsuche schon seit vielen Jahren. „Die Untersuchungen der Mikrostruktur der Proben von Kieselhölzern mit Hilfe unseres Rasterelektronenmikroskops, das bis zu 100.000-fache Vergrößerungen und ergänzende Untersuchungen zur chemischen Zusammensetzung und kristallinen Struktur ermöglicht, tragen dazu bei, den Prozess der Versteinerung der organischen Bestandteile von Pflanzen zu verstehen“, berichtet Prof. Dr. Thomas Lampke, Inhaber der Professur. So wurden geschliffene Proben eines Baumfarnes und zweier Nacktsamer – nämlich Cordait und Medullosa – untersucht.
„Abbildungen und Beugungsuntersuchungen mit Rückstreuelektronen zeigen den vorzüglichen anatomischen Erhalt des Pflanzengewebes durch Mineralisationen“, erläutert Dr. Ronny Rößler, Direktor des Museums für Naturkunde. „Wir sehen so das Eindringen der Kieselsäure und vor allem wo und wie sie Kristallite gebildet hat. Offenbar erfolgte ein gerichtetes Kristallwachstum an der Zellulose der früheren Zellwände. Damit sind die Chemnitzer Fossilien ein sehr frühes Vorbild zur Bildung keramischer Materialien an biopolymeren Templaten“, ergänzt Dr. Dagmar Dietrich, technische Angestellte der Professur Oberflächentechnik/Funktionswerkstoffe.
Interesse aus Neuseeland
Ihre jüngsten wissenschaftlichen Untersuchungen haben Dietrich, Lampke und Rößler Ende des vergangenen Jahres in einem mehrseitigen Fachartikel in der „Paläontologischen Zeitschrift“ des Springer Verlages veröffentlicht. „Die Resonanz in der Wissenschaftswelt war groß, mit einem Forscher aus Neuseeland ergibt sich vielleicht sogar ein gemeinsames Forschungsprojekt“, berichtet Dietrich. Denn den Prozess der Versteinerung zu verstehen, ist schon seit dem Mittelalter ein Anliegen von Forschern auf der ganzen Welt.
„Die gemeinsamen Untersuchungen der TU Chemnitz und unseres Naturkundemuseums bringen uns nun wieder ein Stück voran“, sagt der Museumsdirektor stolz. Deshalb sei es ihm besonders wichtig und ein glücklicher Umstand, dass er an der Chemnitzer Uni mit motivierten und hervorragend qualifizierten Forschern aus den Werkstoffwissenschaften, aus der Chemie und anderen Bereichen interdisziplinär zusammenarbeiten kann. „Bei den Ausgrabungen haben uns zum Beispiel auch Elektrotechniker der TU mit ihren 3D-Scannern unterstützt, das Gelände zu erkunden“, sagt Rößler.
Wer sich für die einzigartigen wissenschaftlichen Fund- und Ausgrabungsorte in Chemnitz sowie die Fundstücke im Museum für Naturkunde interessiert, sollte das Naturkundemuseum im Herzen der Stadt besuchen. In der ersten Etage des TIETZ kann man den Vulkanausbruch des Beutenbergs im Zeisigwald noch einmal audiovisuell miterleben, der eines der ältesten Ökosysteme aus der Permzeit auf dem Festland für die Nachwelt konserviert hat.
Übrigens: Die Stadt Chemnitz hatte sich 2006 zum engagierten Vorhaben bekannt, dass der Versteinerte Wald in die UNESCO-Liste als Weltnaturerbe aufgenommen wird – das sächsische Kabinett hat dieses Ansinnen 2012 noch nicht unterstützt. Das entmutigt die Forscher an der TU und im Naturkundemuseum nicht: „Wir gehen auch weiterhin in unserer Wissenschaftsregion Chemnitz gemeinsam der Frage nach, wie die Kieselsäure vor Jahrmillionen in die Zellen von Pflanzen gelangen konnte, ohne sie zu zerstören“, versichert Rößler.
Videobeitrag zur Forschungskooperation zwischen Naturkundemuseum und TU Chemnitz
Weitere Informationen: http://www.naturkunde-chemnitz.de
Die Chemnitzer Ausgrabungen und der Versteinerte Wald waren auch Protagonisten einer aufwändig produzierten Sendung des Wissenschaftsmagazins „Terra X“ im ZDF.
Hintergrund zur Sendung
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