„Sowohl mit Erleichterung, aber auch mit Sorgen ist das Ende des Blutvergießens in der Ukraine zu betrachten“, schreibt der Sonnenberger Dmytro Remestvenskyy über seine Heimat. Er warnt vor Putin.Wir, die in Chemnitz lebenden Ukrainer, fühlen uns dem Land und den Menschen eng verbunden. Im Moment dieses Neustarts sollten alle, die am monatelangen Konflikt um die künftige Entwicklungsrichtung der Ukraine beteiligt waren, ungeschönte Schlussfolgerungen ziehen.

 

Das Promotion-Exemplar des neuen Bestsellers des Bloody Bastards.

„Das Promotion-Exemplar des neuen Bestsellers des Bloody Bastards“ – Remestvenskyys bittere Satire im Bild vom 21.2.2014

1. Der verschollene und gesuchte Präsident Janukowitsch: Er, der das Volk und die internationale Gemeinschaft belogen hat, das Gewaltmonopol des Staates zur Tötung und Verfolgung Andersdenkender missbrauchte, hat jede Legitimität zweifellos verloren. Sein politisches Comeback im 2010 wurde zum Rachefeldzug gegen das ganze Land, gegen Recht, Demokratie und Andersdenkende. Der sofortige Amtsverlust war der einzige Weg für Janukowitsch, der schon 2004 nach Wahlfälschungen von den Bürgern gestürzt wurde und so ein Hauptverursacher jener „Orangenen Revolution“ wurde, die er und sein russischer Amtskollege seither panisch mit allen Mitteln bekämpft haben. Er und weitere, die für Gewaltverbrechen der vergangenen Monaten verantwortlich sind, müssen in fairen Gerichtsverfahren verurteilt werden, um nicht straflos davon zu kommen.

2. Die ukrainische Opposition (neue Regierung): Die, die auf Schultern der kämpfenden Massen der großen Teile der Bevölkerung im erbitterten blutigen Machtkampf gewonnen hat, muss dem Volk gerecht werden. Dies kann ihr nur gelingen, wenn sie ab sofort integrativ handelt, Neuwahlen demokratisch vorbereitet, gegen Extremismus auch in den eigenen Reihen antritt, die Integrität des Landes mit Rechtsmitteln sichert und schützt. Sollte eine Teilung des Landes, die jetzt manche provozieren, tatsächlich real werden, wäre das fatal für die Nation. Das klare „Ja“ zu den menschlichen und wirtschaftlichen Freiheiten und das harte „Nein“ zu den gewissenslosen Separatisten muss die Antwort der befreiten Nation sein.

3. Die Machthaber in Moskau: Mit der Entsendung von Vladimir Lukin, dem bisherigen Menschenrechtsbeauftragten und hochrangigen Diplomaten, hat Moskau zum Schluss doch noch zu einer Deeskalation beigetragen, obwohl der Entsandte das Abkommen nicht unterzeichnet und im Nachhinein kritisiert hat. Anscheinend zieht Moskau keine Schlussfolgerungen aus der eigenen Politik und der eigenen neusten Geschichte. Zuvor hatte Moskau, wie schon 1989 in Mittelosteuropa und 1991 und 1993 im eigenen Land, erkennen müssen, dass einige Zehntausend überzeugte und hartnäckige Menschen ausreichen, um die Verhältnisse auch im ganzen Land zu ändern. Ob der Kreml sich mit dem Verlust der Ukraine abfinden kann, ist fraglich. Statt Versöhnungstönen aus Moskau hört man eher angstschürende Aufrufe an die Russischsprachigen in den ukrainischen Regionen. Die Duma in Moskau provoziert mit der Verabschiedung des rasch gebastelten Gesetzes über eine vereinfachte Einbürgerung für die russische Minderheit in der Ukraine und ruft sogar den Botschafter ab. Ähnliches fand im Vorfeld des Russisch-Georgischen Krieges statt.

4. Die Europäische Union und die USA: So erfreulich es ist, dass ihre Vertreter in Kiew zum vorläufigen Ende der Gewalt beigetragen haben, so falsch wäre es zu übersehen, dass einer der Ausgangspunkte der Krise – neben dem Unwillen vieler Ukrainer, weiter mit dem Janukowitsch-Klan, der Rückständigkeit des Landes und der verordneten Abhängigkeit von Russland zu leben – die wenig umsichtige Politik der EU vor dem angestrebten Assoziierungsabkommen mit der Ukraine war. Ab sofort müssen EU und die USA der realen Lage und den Anliegen der ukrainischen Bevölkerung größere Beachtung entgegenbringen müssen. Auch viele Ukrainer waren skeptisch gegenüber der Entscheidung für eine derart enge Anbindung an die EU, wie sie das Abkommen – teilweise zum Nachteil anderer bestehender Bindungen – erzeugt hätte, da sie und die Ukraine langfristig offene und produktive Beziehungen zu beiden, zur EU wie zu Russland, brauchen.

In den kommenden Monaten und Jahren müssen die EU-Vertreter ihr Handeln daher so gestalten, dass alle Ukrainer sie wirklich als reale Hilfe bei der Schaffung von Rahmenbedingungen sehen können, wie sie alle Menschen unabhängig von ihrem Lebensort ersehnen. Diese sind ein funktionierendes Gemeinwesen, das Wohlstand, Recht, Sicherheit, Kultur, Offenheit und Entwicklung. Egal, ob es dafür das erstrebte Assoziationsabkommen schon gibt oder noch nicht. Die EU kann dauerhaft nur zu einer Stabilisierung in der Ukraine beitragen, wenn sie die Verschiedenheiten innerhalb des Landes akzeptiert.

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