Zum letzten Mal besteht am Samstag, 3. Mai 2014 die Gelegenheit, Relikte aus der über Jahrzehnte vergessenen, jedoch voll möbliert und ausgestatteten Wohnung eines Sonnenberger Mieters zu sehen.

Die Galerie Hinten zeigt diese persönlichen Hinterlassenschaften des Herrn U. im Rahmen der Ausstellung „Es gibt viel zu tun – hau’n wir ab.“ von Eva Olivin und Robert Verch. Die Objekte wurden dabei nicht etwa von den Künstler*innen ausgewählt, sondern im Verlauf eines gesellschaftlichen Experiments von Gästen des Lokomov bestimmt, die die betreffende Wohnung nie betreten haben. Eine Untersuchungsstation bot ihnen vom 4. bis 6. April 2014 die Möglichkeit, mit fest installierten, schwenkbaren Kameras die Wohnung zu erkunden und einen Kameraroboter für die Untersuchung einzusetzen.

Galerie HintenNach Abschluss des Experiments haben die Autor*innen des Projekts die digitalen und physischen Materialien der Untersuchung für ihre künstlerische Weiterarbeit eingesetzt. Verschiedene Lesarten und individuelle Zugänge der Nutzer*innen zu der speziellen Situation in der Wohnung des Herrn U. spielen dabei ebenso eine Rolle wie die eigenen Empfindungen im Verlauf der doppelten Überwachung im Kontrollraum. Die Ausstellung zeigt unter anderem den während einer Roboterfahrt umgerissenen Osterstrauß, dem die Künstler*innen den entsprechenden Kameramitschnitt gegenüberstellen. Ein anderer Screen vereint die seltsam ästhetischen Aufnahmen einer Roboterfahrt durch die jeweiligen Sichtfelder der stationär installierten IP-Kameras.
Zur Finissage der dreiwöchigen Ausstellung „Es gibt viel zu tun – hau’n wir ab.“, die ihren Namen dem Motiv einer Postkarte aus der Wohnung verdankt, findet am Samstag, 3. Mai 2014, 19 Uhr eine Gesprächsrunde im Lokomov statt. Dabei werden Entstehung und Hintergründe des Projekts sowie die unkonventionellen Lösungsansätze der technisch hochkomplexen Anforderungen beleuchtet. Gemeinsam mit dem Publikum werden in einer anschließenden Diskussion die Grenzen dieser experimentellen Intervention ausgelotet. Wer bei der ersten Phase noch nicht dabei war, hat so auch die Gelegenheit, aus erster Hand zu erfahren, wie sich das künstlerische Experiment angefühlt hat. Zu Gast sind unter anderem:Lars Fassmann (Hausbesitzer und Initiator)

Eva Olivin (Künstlerin)
Robert Verch (Künstler)
Stefan Helmert (Aktivist des Chaostreff Chemnitz)Der Eintritt zur Veranstaltung im  Lokomov (Augustusburger Straße 102, 09126 Chemnitz) ist frei. Die Besichtigung der Ausstellung „Es gibt viel zu tun – hau’n wir ab.“ in der Galerie Hinten ist zeitgleich möglich.

Hintergrund
Der spektakuläre Wohnungsfund rief beim neuen Hausbesitzer Lars Fassmann Anfang des Jahres 2013 den Wunsch nach künstlerischer Thematisierung hervor. Auch bei den dafür eingeladenen Künstler*innen Eva Olivin und Robert Verch erzeugt die spürbare Präsenz des Abwesenden noch immer eine Intimität von solcher Heftigkeit, dass Neugier und Schuldgefühle beim Eindringen in die vergessene Wohnung unentwegt miteinander ringen. Im Dämmerlicht lässt sich erahnen, wie das dort geführte Leben ausgesehen haben muss: Liebevoll und verzweifelt zugleich erzählen eigenwillige Gegenstände, persönliche und bürokratische Korrespondenz, Arrangements aus Kitsch und klobiger Sachlichkeit eine Überlebensgeschichte der Nachwendezeit. Doch nichts weist darauf hin, wie die Fortsetzung gelaufen sein mag. Mit ihrer künstlerischen Arbeit wollen sie untersuchen, ob jenes Gefühl, das einen beim Betreten der Wohnung unweigerlich beschleicht, mit modernen technischen Mitteln übertragbar ist.
Dafür haben die Künstler*innen eine Szenerie erdacht, die eine Zeitreise und Spurensuche in den Räumen des Herrn U. ermöglichte, aber den Gästen die Verhandlung eigener Grenzen von Neugier und Anteilnahme bis hin zu Voyeurismus und dem Eindringen in die Privatsphäre Anderer selbst überlassen sollte. Eine fest eingebaute, dominante Station, deren technische Ausstattung alle Möglichkeiten zur ferngesteuerten Untersuchung jener Wohnung bereithielt, zog mit neun verschiedenen Kamerabildern und der Steuerung eines Roboters vom 04.04.-06.04.2014 Neugierige in ihren Bann. In der Grauzone zwischen futuristischer Innenarchitektur und profaner Arbeitsumgebung hergerichtet, ließ die Untersuchungszentrale keine eindeutigen Rückschlüsse auf mögliche Urheber*innen oder reguläre Angestellte zu. Während manche der unvorbereiteten Besucher zögerlich den Raum erkundeten, erlagen andere unmittelbar der Sogwirkung der beinahe computerspielartigen Aktionsform.

Weitere Informationen zum Projekt und zu den Künstler*innen finden Sie unter:
www.dieuntersuchung.de
www.robert-ver.ch
www.evaolivin.de
Quelle: Galerie Hinten