Der Sonnenberg zur Wendezeit: Zentrum für Ökologie und Friedensbewegung
Der Sonnenberg war das Zentrum von Aktivitäten in der Karl-Marx-Städter Umwelt- und Friedensbewegung, welche dazu beitrugen, das System der DDR zum Einsturz zu bringen. Das war ein Ergebnis eines Abends zum Thema am 20. Januar im KaffeeSatz. Zwar fanden vor 25 Jahren Versammlungen mit mehreren Tausend Besuchern in der Johanniskirche, in der Propstei oder anderswo in der Innenstadt statt, aber hier wurden viele vorbereitet. Eine wichtige Rolle spielten der Ökokreis ab 1983 in der Stadtmission, der Montagskreis in der Stadtmission und ab 1987 der Ökokreis der Katholischen Stadtgemeinden in St. Joseph.
Davon erzählten eine Reihe Zeitzeugen. Volkmar Zschocke, damals in der Stadtmission in der sozialdiakonischen Jugendarbeit mit „Randständigen“ tätig, die schon durch ihre Unangepasstheit mit dem Staat in Konflikt gerieten, erinnerte sich im KaffeeSatz an das ehemalige Lesecafé. „Bei Tee oder Bier haben wir hier konspiriert.“ Manfred Hastedt erklärte, wie die Impulse zur Gründung des Umweltzentrums auf dem Sonnenberg entstanden, das er seit 25 Jahren leitet.
Ingrid Bartl aus der Gemeinde St. Joseph, heute manchen bekannt als Gärtnerin der Baumscheiben, wohnte damals in der Ludwig-Kirsch-Straße. „Bei Ostwind musste man sich im Treppenhaus die Nase zuhalten, so stanken die Plumpsklos auf den halben Treppenabsätzen. Und der Schnee im Winter wurde über Nacht schwarz von den Schornsteinen. Alle Häuser waren grau und schwarz, ich kam gar nicht auf die Idee, schöne Fassaden oder Stuck zu erkennen.“ Ihr Mann berichtet, wie der Pfarrer von St. Joseph Daten zur Luftverschmutzung in den Schaukasten hängte. Aufklären über die Probleme, Alternativen aufzeigen, das waren die Ziele der Gruppen, und damit gerieten sie mit dem Staat in Konflikt.
Manfred Hastedt durfte nicht Theologie studieren und fand lange nur eine Arbeit als Postsortierer, Herr Bartl verlor seine Stelle als Berufsschullehrer. Die Gruppen waren durchsetzt mit Stasi-IM’s. Aber die Unterdrückung konnte man nicht auf die Stasi fokussieren, sie ging genauso zum Beispiel von manchen Lehrern aus, so Volkmar Zschocke. Schon bei der Wahl in die Wahlkabine zu gehen statt offen zu wählen kostete Mut. In den oppositionellen Gruppen zirkulierten die Anleitungen, wie man die Namen der Einheitsliste durchstreichen musste, um eine echte Neinstimme abzugeben. Matthias Höppner aus dem Bürgerzentrum, damals wohnhaft in Limbach-Oberfrohna, hatte ohne Kontakt zu Oppositionellen sich entschieden, kein Zustimmungs-Kreuz zu machen – nach den Erklärungen stellte er fest, „da habe ich wohl eine ungültige Stimme abgegeben.“
Lutz Böttger, heute wieder mit seiner Messerschleiferei in der Sonnenstraße tätig, erlebte Mitte der achtziger Jahre, wie der Staat das elterliche Gründerzeithaus am heutigen Contiloch enteignete und es zugunsten eines modernen Verwaltungsgebäudes abreißen ließ. Die Kirche, die Markusgemeinde wurde seine Heimat. Zufällig zu einem Treffen mit der Partnergemeinde in Ostberlin, erhielt er ’89 den gerade fertigen Gründungsaufruf des „Neuen Forums“ und brachte ihn mit nach Karl-Marx-Stadt. Er berichtete: „Der wurde abgeschrieben und verbreitete sich wie ein Lauffeuer.“
Der Ungar Lazlo Farkas, erst Vertragsarbeiter, dann Theaterfotograf, hingegen erlebte den Sonnenberg als Viertel der Boheme, der Künstler. Er fotografierte die erste Chemnitzer Demonstration am 7. Oktober ’89 vom Luxor bis zur gewaltsamen Auflösung an der Zentralhaltestelle – Fotos, die vielgefragte Dokumente wurden, denn andere Fotografen hatten sich dort nicht sehen lassen.
In der Wendezeit schwand zum ersten Mal die Angst, sich gegen den Staat aufzulehnen. Was sie denken, wenn heute die Pegida-Demonstranten „Wir sind das Volk“ skandieren? – „Dass es diese Freiheit gibt, dass sie das dürfen“, meinte Volkmar Zschocke. Aber solche Sätze „Man wird ja wohl sagen dürfen“ seien verfehlt, denn heute gebe es Meinungsfreiheit, man könnte die Zeiten überhaupt nicht miteinander vergleichen. Der aus Brandenburg zugezogene Stadtrat Bernhard Herrmann betonte, dass die heutige Freiheit auch für politisches Engagement genutzt werden sollte.
Ein spannendes Gespräch und wert, sich zu erinnern, fanden alle der knapp 30 Gäste im KaffeeSatz. Eine Studentin sprach vom „Gänsehautgefühl – bin ich in der falschen Zeit geboren?“ und bemerkte, wie man das „revolutionäre Potential“ den Zeitzeugen gar nicht so ansähe.
Danke an die Fotos von Eckart Roßberg!
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