Hinter der Contiloch-Baustelle in einem grauen Plattenbau empfängt die Gäste des Kunstgesprächs ein großzügiger Raum mit farbenfrohen Gemälden.

Im Mai vor drei Jahren war Ronald Münch (*1972) mit Bildern und Staffelei eingezogen. Eigentlich waren nur vier Wochen geplant…

Wer?

„Ich habe mein Leben lang gemalt. Ich habe mir als Kind auch viel Trost ermalt, weiß ich jetzt. Holzbildhauer wollte ich werden, musste aber Maschinenbauer lernen wie mein Vater. Mit der Wende kam mein erster Kontakt mit Alkohol“, erzählt Münch. Die „hochsensible Ader“, die Sucht, die versucht, Defizite zu füllen, bestimmt seinen Lebensweg. Er machte Musik und war in seiner Heimatstadt Mittweida politisch aktiv, während er formal an der TU eingeschrieben war.

Dann wurde er Vater eines Kindes und wollte dafür sorgen. Er wurde Bauarbeiter und war auf einmal als Vorarbeiter mit 30 Leuten verantwortlich für den Innenausbau des Krankenhauses Hartmannsdorf. Viele Pleiten hat er erlebt. Vom Konkursgeld der letzten Baufirma hat er sich den ersten PC gekauft. Mit Hilfe des PC studierte er berufsbegleitend im Fernstudium Malerei und Illustration. „Perfekt malen habe ich gelernt, aber empfand immer mehr den Spagat zwischen Bildern, mit denen ich etwas anfangen kann, und der aufgeblasenen Klientel im Kunstbetrieb. Ich machte keinen Abschluss, bekam wieder ein Kind, brauchte wieder Geld. Über die Anfrage nach ein paar Flyern und Fotos landete ich für fünf Jahre bei einer Firma für Luxusuhren. Aber diese Rolexträger guckten nur auf die Wertsteigerung, ich hatte immer Probleme im Umgang mit Kunden. Ich habe versucht, mich zu betäuben. Ich wollte frei sein, und heute weiß ich: Ich war unwahrscheinlich gefangen. Vor vier Jahren kam es zum Zusammenbruch.“ Er weist auf „mein bedeutendstes Bild“ hin: Gitterstäbe. „Das ‚Medikament Alkohol‘ war mein Gefängnis.“

In dieser dunkelsten Zeit hatte er in seiner kleinen Wohnung im Hochhaus an der Ecke Brücken-/Bahnhofstraße, „dem Selbstmordhaus“, den Fenstergriff abgeschraubt – um bei spontanen Suizidanwandlungen Zeit zu gewinnen, erklärt er. „In dieser Zeit dachte ich: Mal dir das Licht, was du gerade nicht hast, in der Hoffnung, dass du es empfindest.“

Wie sieht es im Atelier aus?

In dieser dunklen Zeit kam eine Anfrage, ein Bild von ihm zu kaufen. Dafür brauchte er Platz, die Werke zu präsentieren, und fragte bei der GGG wegen der Zwischennutzung des Lokals an. Er erhielt die Erlaubnis und konnte zehn Tage vor seinem 41. Geburtstag den Raum eröffnen. „Ich sah das erste Mal meine Bilder mit mehr Abstand als 3 Meter vor mir. Ich gewann Mut, mich selbst zu sehen.“

„Projekt Freigang“ nennt der Künstler es. Ein Artikel in der Freien Presse lockte Neugierige an. Münch verlängerte die Nutzung des Lokals, immer wieder bis heute. Etwa 3500 Besucher hat er seitdem gezählt.

Er sieht die Räume als Begegnungsstätte, nicht nur als Ausstellung. „In der heutigen Zeit ist es wertvoll, sich näher zu kommen, sein Leben ein Stück zu teilen, Hürden zu überwinden“, sagt er.

Zum festen Besucherstamm gehört auch eine Selbsthilfegruppe für Alkoholabhängige und depressive Menschen sowie Therapiegruppen aus Kliniken. Er begleitet auch gern Kinder und Erwachsene bei ihren Malversuchen.

 

Welche Kunst gibt es?

„Ich nenne es nicht Kunst, sondern Bilder. Irgendetwas mit Farbe drauf.“ „Ich mache die Augen auf – da ist das Bild“, sagt er. Er will die Bilder auch nicht benennen. „Mit Titeln beeinflusse ich Sie völlig“, er will dem Betrachter die Interpretation frei stellen. Er zeigt ein dreiteiliges Bild, auf Bestellung für die Wohnung eines Kunden gemalt. Er gestaltet auch kleine Objekte, Tiere aus Federn oder kombiniert „mit der Natur“ riesige Splitter eines blitzgefällten Baums aus dem Zeisigwald mit Lampen.

Dass seine Bewerbung um die Mitgliedschaft im Chemnitzer Künstlerbund abgelehnt wurde, wurmt ihn einerseits. Und andererseits nimmt er die Begründung „ohne künstlerischen Aspekt“ als Titel seiner nächsten Ausstellung im Mai.

Mehr unter www.projekt-freigang.de

Katharina Weyandt