Streit um Turm der Fahrzeugelektrik
Wie geht es weiter mit der alten Fahrzeugelektrik, auf deren Gelände der Besitzer Wohnhäuser bauen will?
Wie Eckart Roßberg beobachtet und dokumentiert hat, haben die Abrissarbeiten begonnen.
Laut Auskunft der Pressestelle der Stadt würden unter Teilnahme des Denkmalschutzes gegenwärtig Abstimmungen mit dem Eigentümer zum Umfang des Erhalts der denkmalgeschützten Gebäudeteile geführt. Das berichtete die Stadtteilzeitung in der Ausgabe vom Juni 2016.
Zu den geschützten Gebäudeteilen gehört auch der Turm. Für Stephan Weingart von der AG Sonnenberg-Geschichte und Ingrid Burghoff vom „Atelier 8-80“ ist er ein Wahrzeichen. Sie hoffen, dass er bleibt.
Andere stört mehr das verlassene und verwilderte Gelände. „Wenn man den Investoren ständig neue und inakzeptable Forderungen stellt, stehen diese Gebäude in 50 oder 100 Jahren noch“, heißt es in einem Brief an Weingart und Burghoff, der – mit sieben Unterschriften, aber ohne Absender – als Antwort auf die Artikel in der Stadtteilzeitung beim Bürgerzentrum einging.
Die Schreiber zeigen sich pessimistisch: „Wir, wie die meisten Anwohner, gehen davon aus, dass sich hier wie anderen Orts auf dem Sonnenberg nichts ändert.“
Und bemängeln, dass man dem Abriss der Häuser an der Palmstraße / Reinhardtstraße durch die GGG „gelassen entgegen gesehen habe“. – Da gab es Proteste, das hatte mich auch gestört, entgegnet Stephan Weingart. Die Reaktion müsse man respektieren. Er hofft weiter auf den Erhalt des Turms.
Im Sonnenberger 1/2016 hatte die AG Sonnenberg-Geschichte in ihrer Serie von der Historie des Turms und der Fabrik erzählt:
Sonnenberg verliert Wahrzeichen
Zur Industriegeschichte der Fahrzeuglampenfabrik Riemann
Bereits der„Sonnenberger“ 2/2015 hatte über den geplanten Abriss der Fabrik an der Fürstenstraße 83 informiert. Hier soll etwas näher auf die Geschichte des einst bedeutendsten Industrieobjekts auf dem Sonnenberg eingegangen werden.
Der Lackierer Hermann Riemann begann 1866 in einer kleinen Werkstatt in der Amalienstraße (jetzt Tschaikowskistraße) mit der Herstellung von „Metallkurzwaren“. Ab 1888 eröffnete sich ein neuer Markt mit der Produktion von Fahrradlampen. Auch in Chemnitz entstanden damals zahlreiche Fahrradfabriken und -geschäfte. Um dem wachsenden Bedarf an Zubehör zu genügen, errichtete Riemann 1894 auf noch unbebautem Gelände (am heutigen Humboldtplatz) ein zweistöckiges Gebäude nebst Heizhaus und Fabrikantenvilla an der Fürstenstraße. Seinen ältesten Sohn Otto nahm er als Mitinhaber auf. Neben „Germania-Fahrradlaternen“ gehörten Luftpumpen und Hupen zum Sortiment. Da die Geschäfte gut gingen, folgten Erweiterungsbauten, zu denen auch der bekannte „Riemann-Turm“ gehörte.
Die Firma Riemann erhielt international beachtliche Auszeichnungen. Auch der sächsische König Friedrich August III. brachte im Jahre 1905 mit seinem Besuch des Werkes seine Wertschätzung zum Ausdruck. Zu dieser Zeit zählte die Belegschaft ca. 950 Beschäftigte. 1908 ließ sich der Sohn Otto Riemann eine zweite, repräsentative Jugendstilvilla Dietzelstraße 25 (jetzt Hofer Straße) erbauen. Architekt war Wenzel Bürger, auch bekannt als Schöpfer der Chemnitzer Synagoge.
Der Riemann-Turm
Auch die Entwürfe für einen Erweiterungsbau und einen Turm von stammten von dem Architekten Wenzel Bürger. Für die Ausführung des Stahlbetonbaus zeichnete die Actien-Gesellschaft für Beton- und Monierbau, Filiale Dresden.
Der Erweiterungsbau nahm die Tischlerei, den Maschinensaal für die Herstellung von Fahrrad- und Kraftfahrzeuglampen, Auspackerei und Lackiererei auf.
Der 35 m hohe Turm diente ursprünglich als Wasserturm, das Wasser wurde zu Betriebszwecken der Firma Riemann verwendet. Zugleich war er ein weithin sichtbares Wahrzeichen des Unternehmens, das zuvor mit einem Grand Prix auf der Weltausstellung in Brüssel (1910) und zwei Grand Prix auf der Weltausstellung in Turin (1911) ausgezeichnet worden war, und wurde ab 1913 in dessen repräsentive Firmenansicht auf den Briefköpfen aufgenommen. Zusammen mit der Villa Hofer Straße und der 1914 eingeweihten Humboldtschule bildet der Riemann-Turm ein Wahrzeichen der „Humboldthöhe“.
Schon im November 1912 starb jedoch Otto Riemann nach kurzer, schwerer Krankheit und hinterließ neben seiner Witwe noch drei minderjährige Kinder. Hermann Riemann führte den Betrieb nun wieder allein, verstarb aber im März 1913. Zunächst von der Witwe Hermann Riemanns verwaltet, übernahm 1914 der jüngste Sohn Paul Riemann die Leitung des Betriebes, die erst in der Zeit des Nationalsozialismus beendet wurde. Zur Produktion von Fahrradlampen kamen mittlerweile Motorrad- und Automobilbeleuchtungen sowie Signaleinrichtungen. Besondere Großaufträge ergingen für Militärfahrzeuge.
Der Betrieb fiel dann 1945 unter den Volksentscheid zur Enteignung von Kriegsverdienern in Sachsen, aus ihm gingen in den Folgejahren die „Spezialfabrik für Fahrzeugbeleuchtungen“ in Chemnitz und später der VEB Fahrzeugelektrik Karl-Marx-Stadt mit einem breiteren Produktionsprofil hervor. Weiterhin stellte er vor allem Scheinwerfer und Zündanlagen für Kraftfahrzeuge her.
Nach der politischen Wende war ihm als Fahrzeug-Elektrik-Elektronik GmbH nur eine kurze Existenz bis 1992 beschieden. Seitdem verfiel der Fabrikkomplex zur Ruine. Da nun der Abriss und ein Neubebauung mit Einfamilienhäusern und Betreutem Wohnen vorgesehen ist, sind seine Tage gezählt. Damit droht der Sonnenberg ein Wahrzeichen, den markanten „Riemann-Turm“ zu verlieren, der auf die Jugendstil-Villa von 1908 architektonisch Bezug nimmt.
Zusammengestellt von der AG Sonnenberg-Geschichte nach Unterlagen im Staatsarchiv und Stadtarchiv Chemnitz
AG Sonnenberg-Geschichte
Die jetzigen Verhandlungen über den „Umfang des Abrisses“ scheinen absurd. Es gibt einen (im Januar veröffentlichten) Bebauungsplan, der den Erhalt von wichtigen Fassadenelementen und vom Riemann-Turm vorsieht. Dem Investor ist dies ebenso bekannt wie der Umfang der nötigen Sanierungsmaßnahmen, die z.B. für den in der Freien Presse erwähnten einsturzgefährdeten Giebel nötig sind.
Das derzeitig stattfindende Drama scheint der Versuch des Investors zu sein, den Komplettabriss „durch die Hintertür“ doch zu ermöglichen. Dabei geht ein Stück Sonnenberg-Geschichte unwiderruflich verloren.
Wir haben mit dem Gelände, das seit über 20 Jahren brachliegt, soviel Geduld gehabt – wir können auch noch ein paar Monate warten – auf einen neuen Nutzungsplan, für Fabrikgebäude mit hohen Decken und Industrie-Charme.
Das Gelände der Fahrzeugelektrik befindet sich an der Ecke Fürstenstraße/ Hofer Straße. Folgen Sie der Fürstenstraße stadteinwärts, dann finden Sie auf Höhe Uhlandstraße die gelungene Sanierung eines Gebäudes mit Klinkerfassade, welches heute die Theaterwerkstätten sowie diverse Gewerbebetriebe beherbergt. Es ist also durchaus möglich, Mieter für Räumlichkeiten mit „hohen Decken“ zu finden. Und Förderung aus Steuertöpfen ist dem „Investor“ auch sicher, wenn er dort kein Altenheim errichtet.
Auf dem Sonnenberg wurden schon so viele Gründerzeit-Karrees durch Abriss zerstört. Statt jetzt unter dem Druck des Investors ein weiteres Industriedenkmal zu opfern, sollten lieber anhand des Bebauungsplanes neue Möglichkeiten für die Nutzung erörtert werden. Zumindest sollte der Entscheidungsprozess öffentlich und demokratisch stattfinden, sodass ein Veto möglich ist.
Ich habe mich heute mit einem Schreiben an die Bürgermeisterin sowie an den Baubürgermeister gewandt und darum gebeten, dass Sie sich für den Erhalt der markanten Züge der ehemaligen Fahrzeugelektrik (inklusive Turm) einzusetzen. Ich hoffe, dass sich noch Viele finden, die das auch versuchen.
Es ist alles schön und gut, ein Wahrzeichen der Stadt erhalten zu wollen. Wie gesagt, erhalten zu wollen.
Dazu gehört aber auch die Pflege und Instandhaltung.
Was wir derzeitig vorfinden, ist eine Ruine und ein völlig verwahrlosten Gelände. Eher eine Schande für die Stadt.
Die Forderung aufzumachen, ein sogenanntes Wahrzeichen zu erhalten, ohne entsprechende Leistungen dazu zu erbringen, dürfte wohl eher anmaßend sein.
Es wird höchste Zeit, dass dieser Schandfleck verschwindet, zumal das Gelände auch ein Unsicherheitsproblem darstellt.