Ahoi halbe Ewigkeit
“Winter ade, scheiden tut weh, aber dein Scheiden macht, daß jetzt mein Herze lacht” Nach vier Jahren heißt es für mich vom Posten des Stadtteilmanagers Abschied zu nehmen, und das mit einem lachenden und einem tränenden Auge. Diese Zeit kam mir wie eine halbe Ewigkeit, fast wie ein ganzes Jahrzehnt vor, das im Nachgang eigentlich nur 2019 als „geregelt“ bezeichnet werden konnte. Im März 2018 trat ich meine Stelle voller Elan und Idealen unter zweimonatiger Begleitung von Frau Koch, meiner Vorgängerin, im Bürgerzentrum an der Sonnenstraße an. Die erste große Aufgabe war die Organisation einer Stadtteilkonferenz, auf der es neben einem Rückblick des Jahres 2017 viel Neues vom Jahre 2018 zu erfahren war.
Ein wichtiger Punkt war die Wahl des Stadtteilrates, eines Gremiums, dass über die Fördermittel des Verfügungsfonds entscheidet und als wichtige Stütze des Stadtteilmanagements und Schnittstelle zwischen Stadtteil und Bürgerzentrum fungiert. In dieser Anfangszeit gab es kaum Zeit für eine geregelte Einarbeitung, es war vielmehr für mich der Sprung ins kalte Wasser und bis heute ist es nach wie vor ein schwieriges Unterfangen, in wenigen Sätzen auszudrücken, was ein Stadtteilmanager alles macht oder vielmehr machen soll, alles und nichts.
Etwa so war es nach meinem Soziologiestudium. „Man kann sich hier auch totarbeiten, denn die Arbeit hört nie auf“. „Im Entferntesten leistest du hier soziale Arbeit“ und „Am Ende kannst du hier nur Schwerpunkte setzen, wenn du die gesamte Stellenbeschreibung erfüllen willst, dann brauchst du mindestens zwei volle Stellen“. Das waren die einführenden Sätze meiner Vorgängerin, die bis heute in meinem Geiste nachklingen und die sich am Ende bewahrheitet haben.
In diesen vier Jahren als Scharnier zwischen Bürger*innen (Vereinen, Initiativen etc.), Stadtverwaltung und im besten und seltensten Falle der Ortspolitik saß ich ständig zwischen den Stühlen. Zwischen Stadtteilebene und Verwaltungsebene habe ich mich für gegenseitiges Verständnis eingesetzt, dabei erschien es für mich als erfolgsversprechender, die Bürger*innen näher an die Stadtverwaltung zu bringen als umgekehrt, mehr operativ als administrativ zu wirken, um die Kluft zwischen Stadtteilbewohnern und Stadtspitze nicht weiter zu vergrößern und die Bürgerbeteiligung im quantitativen Promillebereich perspektivisch auszubauen.
Ebenso war es mir eine Herzenssache, die unzähligen Sonnenberg-Blasen, die ein positives Spiegelbild einer pluralen Lebenswelt im urbansten Stadtteil von Chemnitz aber auch von gegenseitigen Vorurteilen behaftet sind, zeitweise aufzubrechen und überschneiden zu lassen. Kurz: Nicht nur über andersartige Menschen zu reden, sondern vor allem mit ihnen ins Gespräch zu kommen, um am Ende Vorurteile aufzubrechen und zu Toleranz und im besten Falle zu Akzeptanz zu gelangen. Über allen steht der „soziale Friede“ des Sonnenbergs, der jedem Menschen des Stadtteils zusteht, so wie ein jedem, ein jeder zusteht, mit Respekt und Anerkennung gesehen zu werden.
So viel zur Vision bzw. Illusion, die Realität des Sonnenbergs bewegt sich am Ende doch zwischen Babylon und Eden. Für Begegnungen braucht es öffentliche Orte und kreative Formate, mehr Gestaltung als Verwaltung, mehr Aktion als Reaktion. So viel zur Theorie. Wie schnell man von einer scheinbar treibenden Kraft zur getriebenen Kraft wird, hatte ich schnell in meinem ersten Jahr erfahren. Der Aufmarsch von fast tausend uniformierten zumeist von auswärtskommenden Neofaschisten des „III. Weges, der von HJ-Trommeln begleitet wurde, brachte mir nicht nur Kopfzerbrechen und ein Schaudern“, sondern auch das gelebte zivile Engagement in diesen Tagen berührten mich und trug doch erheblich dazu bei, dass der III. Weg hier keinen Fuß fassen konnte. Die Hoffnung währte nur kurz, denn die Geschehnisse in der zweiten Jahreshälfte in Chemnitz übertrafen jegliche. Vorstellungskraft und prägten mein erstes Dienstjahr erheblich. Die Stadt als Spiegel der Gesellschaft wurde in diesen Tagen deutlicher denn je, Chemnitz wurde zur Bühne der gesellschaftlichen Prozesse in diesen Tagen. Daraus resultierten persönliche Begegnungen mit der politischen Spitze der Stadt, des Freistaates und des Landes in diversen Gesprächsgruppen, sogar Altbundeskanzlerin Merkel bin ich schon biologisch bedingt auf Augenhöhe begegnet. Für mich war dies ein Spagat, der erstmal verarbeitet werden musste, obwohl Stadtteilfeste wie das Lessingplatzfest, der “Hang zur Kultur” und Kiezweihnachtsmarkt sowie die Europäische Woche des Sports nur sehr wenig Raum dafür ließen.
Im zweiten und einzigen Jahr, das man wohl als geregelt bezeichnen kann, konnte ich viele Sachen ausprobieren. Ob Saatgutbörse, Interkulturelle Abend oder Tanzabende, um hier nur einige Versuche zu nennen, viele positive und negative Erfahrungen der Stadtteilarbeit konnten hier gemacht werden. Mit viel Erkenntnis und mittlerweile durch Hausmeister und ehrenamtlichen Kräften reicher konnte ich nun in das dritte Jahr starten. Durch Gudrun Srednicki und ihrem Hoffnung Stern e.V. wurde dem Bürgerzentrum wieder Leben eingehaucht und die Stadtteilarbeit konnte auf immer breitere Basis gestellt. Durch Formate wie den Subbotnik konnten Mitstreitende für einen lebenswerteren Stadtteil gewonnen werden, nicht wenige kamen hierbei aus benachteiligten Kreisen. Gerade das Bündeln des ehrenamtlichen Engagements ist für mich von großer Bedeutung, da die vielen sehenswerten Investitionen (Haussanierungen, Straßensanierungen, ökosoziale Projekte, Öffentliche Flächen etc.) mit Leben gefüllt werden und der Sonnenberg nicht zum Potemkinischen Dorf wird.
Im Februar 2020 wurde dann ein neuer Stadtteilrat gewählt, der sich vorerst nur kurz persönlich zu einer ersten Sitzung zusammenfinden konnte. Denn die Corona-Pandemie bestimmte nun fortan die Stadtteilarbeit und die zum Teil sehr auf alltägliche Begegnungen aufbauende Tätigkeit musste umgesetzt werden. Gemeinsam mit Frau Degen von der Bürgerplattform Nord-Ost und Gemeinwesenkoordinatorin Hanna Remestvenska wurde kurzfristig ein Nachbarschaftshilfe- und ein Maskennähprojekt initiiert, einen großen Dank hier schon mal an dieser Stelle für diese beiden tollen Menschen, mit denen ich immer sehr gerne zusammengearbeitet habe. Die Notsituation machte schnell erfinderisch, aus bisherigen Gesprächsrunden wurden schnell Videokonferenzen, der Sonnenberg erfuhr einen Digitalisierungsschub.
Nachdem die erste Welle gebrochen wurde, konnten die ersten größeren Veranstaltungen wie der Hang zur Kultur gefeiert werden, der am 3. Oktober mit einer Kissenschlacht zum 30. Jahr der Wiedervereinigung gekrönt werden. Und so zog sich dieser Faden nun wellenartig bis zum Ende meiner Tätigkeit, die sich für mich wie eine halbe Ewigkeit anfühlte. Die ersten zwei Monate des Jahres 2021 befand ich mich bereits in Elternzeit und wurde von Octavio Gulde vertreten, mit dem ich wiederum in Zusammenarbeit mit Rebecca Dathe die erste digitale Stadtteilkonferenz durchführte. Weiter folgte die Straßengalerie zum Tage der Nachbarn Ende Mai und das Fest Bewegte Meile. Hier nochmal ein besonderer Dank an Frau Kluge und Sachs für die tollen gemeinsamen Momente. Der Hang zur Kultur sollte mein letztes Fest als Stadtteilmanager sein, ab November befand ich mich bis Ende Februar in Elternzeit und ab März dieses Jahres warten für mich neue Aufgaben. Octavio Gulde, der mich auch die letzten Monate vertreten und schon mit tollen Formaten wie das Adventsleuchten auf sich aufmerksam gemacht hat, wird den Staffelstab weiterführen. Ihm viel Kraft, Freude und vor allem gute Nerven, wir werden auf jeden Fall weiter verbunden bleiben. Und am Ende danke ich allen Menschen, die die letzten vier Jahre meinen Weg bereichert haben und vor allem meinen Stadtteil*rätinnen, die sich für unseren Stadtteil eingesetzt haben, allen Redakteur*innen des Sonnenbergers und die Liste ließe sich noch ewig fortsetzen. Fühlt euch gedrückt.
Euer René Bzdok
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