Besuch bei Künstlern auf dem Sonnenberg: Bettina Haller
Wer?
Bettina Haller wurde 1971 in Karl-Marx-Stadt geboren. Ihr Vater Ekkehart Haller, den sie manchmal im Atelier besuchte, war selbständiger Gebrauchsgrafiker und entwarf zum Beispiel Briefmarken. Schon als Kind zeichnete und las sie gern. Im Studium an der Hochschule für Grafik und Buchkunst Leipzig verband sich beides. Der vor wenigen Monaten verstorbene renommierter Chemnitzer Formgestalter Prof. Karl Clauss Dietel würdigte die Hochschule und Bettina Haller als Absolventin. Leipzig als Buchzentrum biete die beste Ausbildung im grafischen Gewerbe, erklärte Dietel. Bei Bettina Haller „reflektiere sich der Ort in den Arbeiten“.
1998 mietete sie mit einer Studienfreundin einen leerstehenden Raum in den früheren Bezirkswerkstätten für Kunst und Restauration an der Würzburger Straße / Ecke Heinrich-Schütz-Straße. Hier startete sie als Freiberuflerin. Andere Künstler zogen nach und schließlich wieder weg, so dass sie 2020 einen neuen Schritt tat und ihr Atelier in die Räume ihres Lebenspartners, des Antiquars Gebhardt, an die Dresdner Straße 14, verlegte.
Das Atelier erst auf der einen, jetzt auf der anderen Seite des Sonnenbergs, immer setzt sie sich aktiv mit ihrer Umgebung auseinander. Künstlerisch und auch gärtnerisch, pflanzt Blumen. Vom Charme einer verfallenden Werkstattanlage wechselte sie zur Herausforderung, in räumlicher Einheit mit dem Antiquariat eine Erdgeschossfläche eines Plattenbaus hinter dem Technischen Rathaus zu beleben. „Die vorbei gehenden Leute neugierig zu machen, ist ganz schwierig“, stellt die Grafikerin fest. Idee: Eine „Leseinsel“ mit Sitzgelegenheiten könnte den vernachlässigten Durchgang ansprechender gestalten. In den Coronajahren gewann sie damit ein Kulturhauptstadts-Mikroprojekt. Als in der Galerie denkART Werke des 90-jährigen Fritz Dietering ausgestellt wurden, wurde sie auf seinen Wunsch nach einer Ergänzung aus dem Kreis der jüngeren Kunstschaffenden als zweite Hauptausstellerin ausgewählt.
Vom Eingang des Antiquariats geht‘s durch schmale Wege zwischen Bücherwänden, Büchertischen. So viel Bände leseappetitanregend aufgebaut, dass man das Ziel leicht verliert… Noch einmal um die Ecke, dann eröffnet sich das Atelier, hell durch zwei Schaufenster und weiße und graue Abdeckungen. „Ein Kraftakt war es, die Fläche des Bücherlagers frei zu räumen, aber eine gute Beschäftigung im ersten Corona-Lockdown“, erinnert sich Bettina Haller. Es ist eng mit der Druckpresse, Bleisatz-Setzkästen bereit, Schränken, Regalen, Arbeitstischen, aber die Fenster öffnen den Raum. „Das Rathaus reflektiert das Licht“, beobachtet Haller. Grafiken hängen an den freien Flächen der Wände, zum Beispiel eine kleine Serie mit einem E-Scooter, einem Einkaufswagen und einem Fahrrad in tiefem Schnee, unter dem Titel „Falsche Zeit, falscher Ort“. Alles ist akkurat aufgeräumt. Ein Arbeitstisch dient Wolfgang Gebhardt für seine Collagen. „Material aus kaputten Büchern, Einzelstücke, wird angepasst, verfremdet, das macht mir großen Spaß“, sagt er. Und betont, kein Künstler, sondern Handwerker zu sein, aber diese Kunst mit Schere und Klebstoff sei für ihn Lebensmittel.
Dreierlei macht Bettina Haller: in Bleisatz gesetzte Texte, meist Gedichte oder Erzählungen, und Bilder, und zwar sowohl Stiche in Acryl als auch Farbholzschnitte. Und in der Regel fügt sie Bilder und Texte zusammen in ein Buch oder eine Mappe mit Einzelblättern, die sie selbst druckt. Auch die Buchbinderei hat sie gelernt, so dass der Großteil ihrer Werke komplett aus ihrer Hand stammt. Abnehmer sind Buch- und Grafiksammler, die über Veranstaltungen, Ausstellungen und Messen von ihr erfahren. Eine Reihe von Lyrikheften wächst. Schon ist Ausgabe Nr. 31 mit Texten von Frank Maibier in Vorbereitung. An einem Ständer sind neben den Heften auch Postkarten zu erwerben. Sie zeigt ein großes Buch, „Stadt mit zwei Namen“, ein kürzlicher Auftrag der Neuen Sächsischen Galerie, was zu Texten Werke von Chemnitzer Grafikern wie Irini Mavromatidou, Osmar Osten und Anatoli Budjko enthält. Und ein ganz ungewöhnlich kleines Buch, „Hosentaschenstille“. Der Einband ist mit einem Knopf verschlossen, es passt in eine Hosentasche. Bettina Haller erklärt: „Die Autorin Rusalka Reh suchte die Ruhe und zog aus Leipzig nach Chemnitz, nach Gablenz. In dem Buch sind Sätze, die Stille verinnerlichen wie ‚Ein Bleistift fährt über Papier‘, „Eine Grille zirpt‘. Ich habe abstrakte Formen im Holzschnitt beigefügt.“
Autorin: Katharina Weyandt
Fotos: Hellfried Malech, Eckart Roßberg
Das nächste Kunstgespräch: 14. Juli bei der Textilkünstlerin Henrike Schmitz, 18:30 – 19:30 Uhr, Jakobstraße 42
Weiter Infos unter: https://www.gemeinwesenarbeit-chemnitz.de/Veranstaltung/kunstgespraech-3/?instance_id=42411
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