Wovon ist die Rede? Noch vor über 150 Jahren war dasdie gängige Bezeichnung für einleicht ansteigendes Gelände, das heute von der unteren Hainstraße, der Jägerstraße, der Bahnlinie und der Augustusburger Straße begrenzt wird. Woher dieser Name stammt, ist bisher ungeklärt.

Über Jahrhunderte gehörten die dortigen Felder und Wiesen der Nikolaikirche ganz am anderen Ende der Stadt, die sie weiterverpachtete. Am Rande der Felder befanden sich Scheunen.

Das änderte sich schlagartig nach dem Bau der „Chemnitz-Gößnitz-Zwickauer“ Staatseisenbahn. 1858 bei der Eröffnung der Bahnlinie erstreckten sich in diesem Dreieck noch jungfräuliche Grünflächen. 1865 war bereits das ganze Karree zwischen der unteren Hainstraße und der Dammstraße bebaut. Neue Wohnungen wurden ja dringend benötigt, die Chemnitzer Einwohnerzahl war in diesem Zeitraum von rund 40.000 auf rd. 55.000 angewachsen! Drei „Investoren“ hatten die lukrativen Grundstücke an sich gebracht. Einige Scheunen wurden abgebrochen, das Baumaterial wiederverwendet. In Kürze entstanden hier vierstöckige Häuser, deren Bewohner Arbeiter, zumeist Weber waren. Eine Etage mussten sich meist drei oder vier Familien teilen.

 

Das größte Flurstück ging jedoch an einen aufstrebenden Unternehmer. Der Maschinenschlosser Friedrich Wilhelm Strobel, der eine Werkstatt in der „Gablenzvorstadt“, etwa an der heutigen Ecke der Augustusburger zur Hainstraße, betrieb und dort Kleinmaschinen herstellte, hatte das Grundstück zur Betriebserweiterung praktisch vor Augen. Im hinteren Teil der Unkelswiese, wo ein Bahnanschluss entstand, wollte er eine größere Fabrik für Papiermaschinen errichten. 1858/59 ließ er das erste Fabrikgebäude mit angeschlossenem Maschinen- und Kesselhaus und Retirade aufführen.

 

Die Baudeputation im Rathaus verlangte aber, dass Strobel als Grundstückseigentümer auch die zugehörige Straße fertig stellen solle, daraufhin ließ er die Dammstraße von der Augustusburger Straße bis zum damaligen Eisenbahndamm anlegen. 1872/73 erfolgten noch Erweiterungen seiner Fabrik. Bis 1928 bestand dieser Betrieb, dann finden wir den Architekten August Kornfeld als Besitzer der rechten Häuserreihe der Dammstraße. In den dreißiger Jahren wurde hier der sogenannte Osthof mit 47 Wohnungen als Notquartier für Wohnungslose eingerichtet.

 

Von den Gebäuden unterhalb von der „Unkelswiese“ erlangten zwei eine größere Bekanntheit. An der Ecke der Hainstraße zur heutigen Augustusburger Straße stand das Ballhaus „Zur Kaiserkrone“. Erbaut wurde es 1862/63, nachdem das dortige Haus eines Webers abgebrochen worden war, es trug zunächst den Namen „Centralhalle“ und dann „Zur Stadt Cöln“. Im Theatersaal fanden des Öfteren Marionettentheater-Vorstellungen statt, die sich unter den Sonnenbergern großer Beliebtheit erfreuten. Im ersten Stock lag der Tanzsaal, in den zwei Etagen darüber befanden sich Wohnungen, in denen anfangs Arbeiter, meist Weber wohnten. Die Prügeleien, in denen die Tanzveranstaltungen oft endeten, trugen dem Etablissement den wenig schmeichelhaften Beinamen „Zum blutigen Knochen“ ein. Nach Kriegsbeschädigungen ist das Gebäude 1952 abgerissen worden. Schräg gegenüber befand sich in der Hainstraße 7 das Lokal „Zur Arbeiterbörse“.

 

Für viele erschwinglich waren die Speisenangebote vom „Pferde-Hofmann“ in der Oststraße, später Augustusburger Straße 53-55. Ganz am Anfang hatte dieser einen Pferdehandel in der Uferstraße 20, rechts hinter der „Ostbrücke“, unterhalten. In Verbindung mit dem Umbau der Brücke war jedoch die Uferstraße verbreitert worden und das Gebäude im Weg, so dass er um 1904 an den Standort links vor der Brücke wechselte. Hier betrieb nun der Sohn des Geschäftsgründers Franklin Hofmann Pferdehandel und Rossschlächterei.

 

Was ist von dieser früheren Bebauung noch erhalten? Einige Gründerzeithäuser sind im Krieg zerstört worden. Weitere Gebäude machten um 1986/87 Platz, so dass der „Wohnungsbaustandort Reichsbahnbogen“ in Angriff genommen werden konnte. In den verbliebenen Gebäuden des Papiermaschinenfabrikanten Strobel nahe der Bahn befindet sich heute die Firma Fomm Armaturen. Auf einsamer Flur erhebt sich auch noch an der Augustusburger Straße 43 das schöne Wohnhaus des Firmengründers, das aus den 1880er Jahren stammt.

 

Nach den Abrissen der Gründerzeitbebauung war wie vorzeiten eine große Wiese entstanden. Deren hinterer Teil hat sich mittlerweile in einen Lagerplatz für den Bau der neuen „Ostbrücke“ verwandelt. Der vordere Teil aber ist neuerdings für einen neuen Parkplatz planiert worden. Man hofft nun, dass das nur ein Provisorium bleibt. Denn sollten die Flächen nicht für den Inneren Stadtring in Anspruch genommen werden, so könnte doch anschließend an das kleine Wäldchen der Jägerstraße eines Tages hier ein Park entstehen und die Hainstraße ihrem Namen wieder alle Ehre machen. Wie wäre es? Denn auch dieses Wäldchen ist doch für wilde Müllablagerungen viel zu schade!

Stephan Weingart, AG Sonnenberg-Geschichte